: Hauptsache Schwarz
Hamlet, Baudelaire, The Stranglers: Warum tragen Männer eigentlich so gerne Schwarz? Annäherungen an ein beharrliches Phänomen anläßlich einer englischen Publikation zum Thema ■ Von Andrew Anthony
Gewöhnlich einmal pro Monat gibt irgendein Hochglanzmagazin die Parole aus: „Schwarz ist wieder da!“ Dabei war Schwarz nie wirklich out, nur war in der Mode historische Genauigkeit noch nie in. Das Faszinierende ist aber, daß uns – fast ebensolange, wie wir schwarze Kleidung tragen – immer schon auch die Frage beschäftigte, warum wir das tun. Die kulturelle Symbolik von Schwarz ist dabei so breit gefächert und wandelhaft, daß wir ständig versucht sind, seine „Botschaft“ zu lesen – selbst wenn es gar keine gibt.
Am Anfang von Tschechows „Die Möwe“ fragt Medvedenko Masa, warum sie immer Schwarz trägt. Masa antwortet: „Das ist die Trauer um mein Leben.“ Dieses Gefühl kennen wir. Aber ebensogut hätte sie auch wie eine Kollegin antworten können, der ich die gleiche Frage gestellt hatte, nämlich: „Weil es schlank macht.“ Oder einfach: „Weil es mir gefällt.“ Oder auch: „Weil ich wie ein Mann aussehen will.“ Denn Schwarz ist eine männliche Farbe.
Natürlich sind solche Verallgemeinerungen in der Regel ebenso haarsträubend wie falsch. Aber hier geht es um Mode, und da ist das ganz anders. Und überhaupt, gerade hier, an der hochglänzenden Oberfläche, haftet dem Klischee unbequemerweise jede Menge Wahrheit an. Denn wie oft wachen Männer auf und denken: „Orange. Heute trage ich mal was Oranges“? Oder Limonengrün, Lachsrosa oder sonst irgendeine lebhafte Farbe? Man kann also sagen: Wenn es um Klamotten geht, sind Männer wie das Ford-Modell T, das erste Fließbandauto. Sie ziehen, so scheint es, jede Farbe an – sofern es Schwarz ist.
In seinem neuen Buch „Men in Black“ (Männer in Schwarz) begibt sich John Harvey, Englischdozent in Cambridge, auf die Spuren der Geschichte jener „Farbe ohne Farbe und ohne Licht, der Farbe von Trauer und Verlust, von Demut, Schuld und Schande“.
In westlichen Gesellschaften ist ihre Entwicklung – von der reinen Trauerkleidung über die Verkörperung klerikaler, beruflicher und totalitärer Macht bis hin zu deren vielfältigen Unterlaufungen – laut Harvey eine von Männern dominierte Geschichte. Mehr noch: „Obwohl sich das Tragen von Schwarz zu einem langweiligen und alltäglichen, aber auch schicken Brauch entwickelte, gab es in der Art, wie Männer Schwarz benutzt haben, immer wieder ein finsteres Element.“
Als Mann fällt es einem schwer, das zu lesen, ohne das eigene Gewissen zu überprüfen. Und unmöglich, ohne die eigene Garderobe zu überprüfen. Hier also mein Farbenspektrum: Dunkelgrau, Anthrazit, Dunkelblau, Dunkeloliv, ausgebleichtes Schwarz und – erschütternd! – Schwarz. Dazu zwei weiße Hemden, die, wie ich finde, ziemlich gut zu Schwarz passen. Warum diese Düsterkeit? Schließlich bin ich kein Grufti.
Die Antwort liegt vielleicht in Harveys Buch. Aber das Buch ist sehr seriös und akademisch, mit Einleitungen von Roland Barthes, Michel Foucault und Umberto Eco. Es ist also unwahrscheinlich, daß es irgend jemand bei den diesjährigen Pariser Herbstschauen hinter den Kulissen herumreichte (sofern der Intellektuellen-Look nicht wieder in ist). Deshalb, dachte ich, sollte ich mit etwas Prägnanterem beginnen. Laut Peter Howarth, Redakteur des Zeitschriftenmagazins Arena, gibt es zwei Gründe dafür, daß Männer wie ich Schwarz so treu sind. „Erstens“, meint also Howarth, der selbst nicht ganz unbekannt dafür ist, gelegentlich die Schwarznummer abzuziehen, „hat das etwas mit den romantischen Konnotationen von Schwarz und mit geheimnisvollen Helden wie Hamlet zu tun. Schwarz ist nämlich die Farbe des Einzelgängers und des Rebellen. Aber der zweite und wahre Grund ist, daß Schwarz nicht schmutzig wird und zu allem paßt.“ Es kann also sein, daß sich meine Vorliebe für Schwarz zusammenfassend als ein männlicher Akt unbewußten Utilitarismus beschreiben läßt. So beruhigend diese Erklärung auch sein mag, spielt sie, soweit ich sehe, in Harveys Buch nicht gerade eine tragende Rolle. Grob gesagt ist seine These, daß sich irgendwann im 19. Jahrhundert schwarze Kleidung von einem Verlust- zu einem Gewinnsymbol entwickelte. Statt nur noch Trauer zu bedeuten, signalisierte das Tragen schwarzer Kleidung nun Macht und Wohlstand.
Harvey zitiert Max Webers Gleichung: „Puritanismus + Kapitalismus = schmucklose Männerkleidung des 19. Jahrhunderts.“ Baudelaire hielt das „neue Schwarz“ für „demokratisch“. „Eine schwarze Traueruniform“, klagte er, „ist ein Beweis von Gleichheit.“ Welche Mehrdeutigkeiten es auch immer hatte, Schwarz zu tragen: Erst in diesem Jahrhundert wurden diese Bedeutungen dann wirklich verdreht.
Es war in den Zwanzigern und Dreißigern, daß sowohl die totalitären Massen wie auch die isolierten Außenseiter auf sehr verschiedene Weise einfarbig symbolisiert wurden; eine ironische Spiegelung ordnungsliebender und anarchischer Kräfte, die uns bis heute erhalten geblieben ist. In der Kunst dieser Zeit, führt Harvey aus, „ist der ,Mann in Schwarz‘ bedrohlich und geheimnisvoll und erscheint – wie in den Bildern René Magrittes – als bildlicher Ausdruck des unpersönlichen, der sozialen Ordnung entrückten Mannes“.
Es ist das Schwarz von Kafka, das der Entfremdung und des aufgeschobenen Todes. Harvey streift die Jugendkulturen des späten 20. Jahrhunderts, aber es ist vermutlich eben dieses Joseph-K.-Image, das die sich ablösenden rebellischen Gruppierungen jeweils angenommen haben: die Existentialisten ebenso wie die Bohemiens und in jüngerer Zeit die Punks.
Wohl am berühmtesten für ihre schwarze Kleidung war die Punk- Gruppe The Stranglers, deren sonderbare Kluft ihnen den Titel „Die Männer in Schwarz“ eintrug. Hugh Cornwell, der frühere Leadsänger, erinnert sich, daß sie sich ursprünglich deshalb für ihr schwarzes Outfit entschieden hatten, um Etikettierungen zu vermeiden. „Wir haben überhaupt nicht realisiert, daß das selbst auch schon ein Etikett war“, sagt er heute, da er seine schwarze Periode heil hinter sich gebracht hat wie Picasso seine blaue. „Wenn man damit anfängt, wie besessen Schwarz zu tragen, macht man genau das, was man ursprünglich vermeiden wollte.“
Cornwell ist neugierig, als ich ihm Harveys Interpretation des Subtextes eines Großteils der männlichen Jugendkulturen erläutere – „Der Liebhaber in Wartestellung hinter dem gewalttätigen Mann“ und „Schwarz könnte ein Schatten sein, der auf den weiblichen Teil des Mannes gefallen ist“ – obwohl er gesteht, daß da nichts bei ihm klingelt. Trotzdem hat der Ex-Strangler etwas über die Farbe, die keine ist, gelernt. „Schwarz existiert nicht“, sagt er. „Es ist immer ein sehr dunkles Rot oder etwas sehr dunkles anderes. Man kann zwei Gegenstände nebeneinander halten, sie haben nie das gleiche Schwarz. Schwarz ist die totale Abwesenheit von Farbe, und trotzdem verbirgt sich in jedem Schwarz irgendeine andere Farbe. Verrückt.“
Noch eigentümlicher ist allerdings die Tatsache, daß das Schwarz, das Cornwell und seine Truppe Ende der 70er trugen, sich mühelos in das Erkennungszeichen der 80er – die sogenannte „Designer-Dekade“ – verwandelte. Ihren Höhepunkt erreichte diese Schwärze meiner Meinung nach mit Einführung der mitternächtlichen Talk-Shows: schwarzes Studio, schwarzgewandete Moderatoren und schwarzgekleidete Gäste.
Das bringt uns wieder zu John Harvey zurück. Als ich ihn am Telefon nach seinen Einkaufsgewohnheiten fragte, gab er an, lediglich ein schwarzes Hemd und sonst nichts weiter in dieser Richtung zu besitzen. Die Akademiker, erläuterte er weiter, hätten sich ja erst vor relativ kurzer Zeit des jahrhundertelangen Brauchs schwarzer Roben entledigt. Was vielleicht eine Erklärung dafür sein könnte, warum Leute wie er heutzutage versuchten, ihre hohe berufliche Position zu verstecken. Natürlich mit Ausnahme derer aus den mitternächtlichen Talk-Shows. „Diesen ganzen Autoritätshabitus, den Intellektuelle ausstrahlen, wenn sie Schwarz tragen – schwarze Pullover, schwarze Schals oder schwarze Kostüme –, genau diese Aufgeblasenheit möchte ich vermeiden.“
Vielleicht trägt John Harvey ja wirklich Orange. Aber warum trage ich nun eigentlich Schwarz? Keine Ahnung, aber ich finde, es sieht einfach gut aus.
John Harvey: „Men in Black“. Reaktion Books, London 1995
Aus dem Englischen
von Barbara Häusler
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