: Struwwelpeter,
■ frisch gefönt Kinder- und Jugendbuchmesse in Oldenburg: ein Platz für Räuber und Rabauken/ Eröffnung am Wochenende
Die wahren Freunde gewinnt man im Leben nur einmal, und meist ganz früh. Die Plätze nah am Herzen sind dann auf immer vergeben. Bereits in der Kindheit war der Freundeskreis durch die Gefährten aus den ersten Kinderbüchern schon beisammen: Die Biene Maja mit dem „abben“ Bein, „Polly Patent“, das Mädchen, das auf dem Weihnachtsmarkt Großmutters Bonbons verkauft und vor allen Dingen die Bullerbü-Kinder. Mit diesen Kameraden aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern war der Heimweg aus der Schule gesichert. Diese Gesellschaft schützte gegen Attacken aus dem Hinterhalt. Heute tragen die Helden zwar andere Namen, doch das Prinzip ist geblieben: Eine ganze Kinderwelt wartet zwischen den Buchdeckeln der ersten Kinderbücher, und sie ist eine andere als die der Erwachsenen.
Doch eine einmalige Chance, das Kinderbuch zu entdecken, bietet sich für Erwachsenen in den nächsten Tagen. Zum 21. Mal präsentiert die Oldenburger Kibum ihr Programm. Bis zum 21. November stehen bei der größten nicht-kommerziellen Kinder- und Jugendbuchmesse über 2.000 Neuerscheinungen von deutschsprachigen Kinderbüchern im Zentrum. Allein dies ist schon ein Universum an Lesestoff. Doch von einer reinen Kinderbuchmesse hat sich die 1975 gegründete Kibum in ihrem Jubiläumsjahr fast zu einem Festival entwickelt. So reichhaltig ist das Rahmenprogramm, daß es eines Führers durch die Vielzahl von Lesungen, Ausstellungen, Kinderfilmen und Theatervorstellungen bedarf. Denn als weiterer inhaltlicher Höhepunkt wird in Oldenburg der Deutsche Kinder-und Jugendbuchpreis verliehen und ein spezieller Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg für eine herausragende Neuerscheinung.
Die großen Pläne der Organisatoren haben diesmal in Oldenburg auch den entsprechenden Platz gefunden. In den erst halb renovierten Anbauten des Oldenburger Kulturzentrums PFL finden zwei große Ausstellungen Platz. Im Untergeschoß: „Robin Hood – Die vielen Gesichter des edlen Räubers“. Dr. Kevin Carpenter, der mit allein 400 Exponaten die Robin Hood-Legende zu illustrieren weiß, hat auch neue Erkenntnisse gewonnen: „Zu Beginn war der Hood einfach ein Räuber. Und Punkt. Erst später hat man die edle Absicht in ihn hineininterpretiert. Das ist offensichtlich das Bedürfnis jeder Gesellschaft, daß einer den Retter spielt. Die Legendenbildung um Störtebecker ist ganz ähnlich gelaufen.“
Einen ebenfalls ambivalenten Helden haben sich die KunststudentInnen der Universität Oldenburg vorgenommen. Ihr „begehbares Bilderbuch“ verspricht, „Struwwelpeter(t)räume“ endlich vom Alpdruck der angstbesetzten Pädagogik zu befreien. Wo im Kinderbuch mit dem erhobenen Zeigefinger gedroht wird und Verbote den unordentlichen Spieltrieb zensieren, verkehrt sich in der Austellung die Kinderbuchwelt in ihr Gegenteil. Der Zappelphilipp, den ein umstürzender Stuhl bestraft, darf in dem begehbaren Kinderbuch kippeln, was das Zeug hält. Absichtlich sind Tisch und Stühle auf einer riesigen Wippe installiert, die zu Balance-Akten und Gleichgewichts-Übungen einlädt. „Wir wollten gerade die lustvollen Bewegungen, die hinter den verbotenen Kinderspielen liegen, wieder entdecken“, erläutert Prof. Jens Thiele die „begehbaren Räume“. Bis zum Wochenende soll neben den Kippel-Stühlen und dem Flammen–Meer, in dem Mariechen lodert, auch das kleine Diorama um sich selber kreisen, in dem der Suppenkasper, je nach seinem launenhaften Appetit, mal dick und mal dünn wird.
Doch neben den klassischen Medien des Geschichtenerzählens beschäftigt man sich in Oldenburg auch mit neuen Entwicklungen – und sogar kritisch, denn Dr. Gudrun Stenzel spricht über „Kinder- und Jugendliteratur und Neue Medien“ und fragt: „Konkurrenz oder Ergänzung“?
Dem Buch als dem ursprünglichen Medium der Literatur fühlen sich die Preisträger des Deutschen Kinder- und Jugendbuchpreises verbunden. In vier Sparten und einem Sonderpreis werden die Autoren auch in diesem Jahr mit dem wichtigsten deutschen Preis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Doch nach diesen Ritualen wird rund um die Uhr vorgelesen, daß die Seiten fliegen. Über 30 Lesungen werden in Oldenburg während der 10-tägigen Kibum veranstaltet. Da kommen die Texte vor Schulklassen zu Gehör, in den verschiedensten Büchereien, und manche Titel laden an den entlegensten Orten zum Verweilen. „Wenn das Glück kommt, muß man ihm einen Stuhl hinstellen“, nennt die Preisträgerin Mirjam Pressler ihr Jugendbuch. Ist das ein sicheres Rezept für dem Umgang mit dem Glück? Vielleicht wird auch mancher Erwachsenen dann auf diesem Stühlchen gern Platz nehmen.
Susanne Raubold
Die Kibum öffnet bereits am 9. 11. von 12 bis 16 Uhr und am 10. 11. von 9. bis 16 Uhr für Fachbesucher. Eröffnung am 11.11. um 16 Uhr im PFL, Petersstraße 3, in Oldenburg.
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