: Die harten Zeiten waren die besten
■ Der „Aufbau“, die legendäre deutschsprachige New Yorker Exil-Zeitung wird 60/ Eine Ausstellung in Bremerhaven illustriert ihren Werdegang
„Orthopädische Vorschriften striktest in unserem Geschäft befolgt: ,Ihr Doktor weiß es!'“ preist „Joseph's“, 719 West, 181 Street, in leicht ungelenkem Deutsch seine „absolut passenden Schuhe“ an. Daneben versprechen die „Herren Benke und Kollar“ in ihrer „Kleinen Konditorei“, 234 East 86 Street, die Kunden „unverändert zu Ihrer vollen Zufriedenheit zu bedienen“. Das „Jaegerhouse“, 97-11 Queens Boulevard, kündigt sein „Oktoberfest Weekend“ an und wirbt für „Schnitzel, Goulash, Sauerbraten“. Die Anzeigenabteilung des „Aufbau“, Amerikas „einziger deutsch-jüdischer Zeitung“ mit Redaktionssitz New York, weiß, wen sie anspricht. Nämlich bevorzugt jene Restaurants, Einzelhändler oder Import-Unternehmen, die auf die besonderen Wünsche und Bedürfnisse einer kleinen Minderheit in der Metropole eingehen: noch lebende Emigranten, die in der Hitlerzeit aus Deutschland und den von den Nazis besetzten Ländern fliehen mußten, deren Familien, Nachkommen, Freunde. Und außerhalb New Yorks natürlich an eine kleine, in alle Welt verstreute Leserschaft, die den „Aufbau“ als deutschsprachiges Berichtsorgan jüdischen Lebens schätzen. 10.000 Abonennten sind das in 32 Ländern, 1.000 davon in Deutschland, sagt Werner A. Stein, Vorstandsvorsitzender des „New World Club“. Der Club, 1924 von jüdischen Einwanderern als „German Jewish Club gegründet, gab zehn Jahre später die erste Nummer des „Aufbau“ heraus. Über die 60jährige Geschichte der Zeitung informiert derzeit die Ausstellung „Eine Brücke zwischen den Welten“, die derzeit in Bremerhaven zu sehen ist (vgl. taz vom 6.11.).
Was ist aus dem legendären Sprachrohr der deutschen Emigranten geworden, wo Thomas Mann, Feuchtwanger, Zuckmayer oder Hannah Arendt im Exil erstmals wieder in der Muttersprache veröffentlichen konnten? „Jene Zeiten, als es der Menschheit schlecht erging, waren die besten des Blattes“, stellt die Redaktion in ihrer Jubiläumsausgabe zum 60. „Aufbau“-Jahr selbstkritisch fest. Das kann sie sich leisten. „Wir stehen nicht in Konkurrenz zum Zeitungsmarkt“, sagt Stein. „Der „Aufbau“ finanziert sich weitgehend durch Spenden, die Reklame wird weniger.“
Auf Aktualität und Leserfang durch zeitgeistiges Design ist das 24-Seiten-Blatt mit zweiwöchiger Erscheinungsweise nicht erpicht. Die Druckqualität mancher Fotos läßt zu wünschen übrig, der essayistische, weitschweifige Stil vieler Artikel sorgt für Abschreckung. Trotzdem soll es dabei bleiben, geplant ist lediglich die Einführung einer neuen zweisprachigen Rubrik – als Leseanreiz für all diejenigen, die zwar Deutsch verstehen, aber nicht lesen können.
Immerhin kommen in der Zeitung Autoren wie Günter Kunert und Henryk Broder ausführlich zu Wort. Deutsche Einheit, jüdische Kunst in Rußland oder österreichischer Exiljournalismus sind Themen bei „Aufbau“. Platz findet auch die ganzseitige Talmud-Exegese. Der „Kulturspiegel“ gibt sich dafür oberflächlicher. Zum 12. Israelischen Filmfestival in New York heißt es: „Alle Streifen gehen unter die Haut, regen zum Lachen oder Weinen an.“
Mit derlei Platituden können die LeserInnen offenbar leben. Wichtiger sind ihnen die aktuellen Veröffentlichungen der „Aufbau Heritage Foundation“, sagt Michael A. Stein. In der Rubrik werden die Förderer der Zeitung regelmäßig namentlich aufgelistet. Das Interesse daran ist groß: Der großzügige Spender könnte ja ein Verwandter eines Abonnenten sein. Die „Heritage Foundation“-Kolumne ist gewissermaßen die Fortsetzung jener Listen, die „Aufbau“ nach Kriegsende 1945 veröffentlichte: Überlebende des Holocaust suchten auf diese Weise Kontakt mit ihrer Familie, ihren Freunden. „Eine der größten humanitären Leistungen von „Aufbau““, sagt der New World Club-Vorstandsvorsitzende. Die Listen sind noch heute von großer Bedeutung. In der Oktober-Ausgabe fordert das „Jewish Asset Reclamation Team“ „Holocaust-Familien“ auf, sich zu melden: In Schweizer Banken lagerten auf zahlreichen, noch vor dem Krieg eröffneten Konten Millionenbeträge. „Die Erben haben Ansprüche darauf, handeln Sie jetzt!“ heißt es in der Annonce.
Wer schnell handeln will, braucht den „Aufbau“ pünktlich im Kasten. „Unglaublich“, sagt Michael A. Stein, „daß mich neulich ein Leser aus Berlin zu einem Artikel in der neuen Ausgabe anrief, die ich noch gar nicht hatte. Die New Yorker Post hatte die Zeitung noch nicht zugestellt, da hatte die Lufthansa sie schon nach Berlin gebracht.“ Alexander Musik
„Eine Brücke zwischen den Welten – 60 Jahre „Aufbau““ bis 1.12. im Friedrich-Schiller-Haus, LLoydstr. 15, Bremerhaven, Tel. 0471/590-28 41. Seminare: „Hoffnung Amerika – Einwanderer in New York“ (Filmabend), 14.11., 20 Uhr; „Besuch der Synagoge in Bremen“, 15.11., 18 Uhr; „Von Anatevka nach Amerika“ (Diavortrag), 27.11., 19 Uhr.
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