So wie wir sind

Wünsche und Zeichen einer Jugend in Deutschland: Christine Scherrmanns Romandebüt verzeichnet schmerzhaft genau die Schwierigkeiten, ein eigenes Leben zu leben  ■ Von Anke Westphal

Jugend heute verlangt nach Leben wie im Kino – eine glänzende Phantasmagorie, die tausend kleine Zeichen im Alltag setzt. Das Bustier, das wir tragen, geht auf Madonna zurück, der Gang ist von Groucho Marx geliehen, das Verspielte von Marilyn Monroe. Der Film dient als Folie bei der Erfindung des „eigenen Lebens“ – wer will den Leuten auch das Recht auf ein bißchen Glamour absprechen. Abhauen wie David Byrne in „True Stories“, Spaß haben wie Winona Ryder in „Reality Bites“. Und dann gibt es da noch Julia Roberts und Drew Barrymore, aber was von denen kam, haben wir leider vergessen.

Mona hat es nicht vergessen. Mona ist wir wissen nicht wie alt, eine Twentysomething vermutlich, und Mona ist mit „ihr“ bekannt, der „Frau mit grünen Schuhen“. Die ist, wie Mona, eine nicht übertrieben weit hergeholte Erfindung von Christine Scherrmann, einer Debütantin, die ihr Geld mit dem Schreiben verdient: Scherrmann ist Sekretärin, gelegentlich auch Übersetzerin und Essayistin. Wir wünschten, ihre Frau mit den grünen Schuhen nie kennengelernt zu haben, denn sie erinnert uns zu schmerzhaft an uns selbst.

Bleiben wir deshalb bei Mona. Mona, so sagt sie, jobbt in Rom als Scriptgirl und Statistin beim Film, doch eigentlich arbeitet sie die Sommermonate über in der Fabrik. Das liebe Geld, so geht es fast allen, und trotzdem erzählt Mona nicht von der Fabrik, denn „du verlierst das gewisse Etwas (...), das lockere Image, durch einen Job als Arbeiterin“. Das Schweigen darüber ist mehr als bedeutungsvoll, nämlich identitätsstiftend, denn Mona gehört zu einer Clique junger Menschen mit lockerem Image. Dieselben verbringen die Nächte im „Spider“, spielen Karambolage im Billardsaal und Jazz in einer Band, die sie Lazy Stompers nennen. Sie surfen im Internet, bilden Wohngemeinschaften und haben McDonald's im Haus. Cliquen sind die Rettungsanker der Kleinstadt-Jugend inmitten „überlegener Blicke der Leute, ihrer verdammten Normalität“.

Jugend in Deutschland. Alle haben sie fotogene Berufe: Tom macht Kunst, Lupus in Jura, Ruth ist Model. Der Journalist Frank verkauft „geistige Rülpser gegen gebündeltes Bares“, nur Feldman ist ein popeliger Automechaniker, aber immerhin Student in spe. Rich entwirft Häuser, Snakes beträchtliche Einkünfte werden von ihm nicht näher definiert. So kennen wir es von den in Elle oder Cosmopolitain porträtierten Menschen – ein Leben, das immer nur die anderen führen. Wir finden es erbarmungslos von der Autorin Scherrmann, daß sie uns mit ihren Figuren vor Spiegel-Bilder-Entwürfe zerrt, mit denen es ein bißchen so ist wie mit Monas geheimem Job. Ob Madonna selbst oder das Madonna-Look-alike aus Elle, wir brauchen und verabscheuen sie. Sie haben unser Leben im Frühstadium infiziert.

Bleiben wir bei der Sinngebung durch Arbeit, einem höchst unpopulären Thema. Die Frau mit grünen Schuhen ist Verkäuferin in einem Buchdiscount. Daß der alte Lehrer ihr zu dieser Tätigkeit gratuliert, ist ein tragikomischer Irrtum: Scherrmanns junge Leute kommen ohne „Kafka, Grass und Sartre“ aus, ohne „Kulturquatsch“, der sie ähnlich macht. Ihr Irrtum ist, nicht zu erkennnen, daß alles ähnlich macht. „Mona kauft immer Modezeitschriften ein. Man muß doch wissen, was hier los ist, wie eine Frau heute lebt und so.“ „Warum hast du bloß keinen anständigen Job?“ wird sie als Repräsentantin einer Generation gefragt, die es wie die Katze hält, „und die Katze will nicht glauben, daß manche Tiere Geld und das alles brauchen und das schöne Leben lang arbeiten gehen“. Auch Monas cooles Statement ist Betrug am Betrug: „Du gibst zuviel her für dein Geld“, antwortet sie den Alten, denen sie nicht ähneln will.

Der Soziologe Wolfgang Engler schreibt, das „eigene Leben“ sei das höchste, zweifelhafte Ziel einer „Personnage, deren letzte existentielle Angst sich auf die Vorstellung reduziert, anderen ähnlich, ,Repräsentant der Verhältnisse‘ zu sein oder sein Geld auf ,gewöhnliche Art‘, durch Arbeit, zu verdienen“.

„Frau mit grünen Schuhen“ bietet Polaroids der psychosozialen Bausteine unseres Ichs. Christine Scherrmanns Text funktioniert als eine Art Selbstgespräch, geführt in der Zeit, in der all das geschieht, „was die Frauen eben so heimlich tun“. Fußnägel werden lackiert, Ellenbogen geölt, und dabei blitzt plötzlich auf, daß die Fragmente eines Lebens nie mehr als Fragmente sein werden. Christine Scherrmann setzt das Fließen der Wünsche und Selbstentwürfe, in denen Wünsche sich materialisieren, gegen das Stakkato des Alltags, in dem geringe, aber formgebende Details ohne Ende verglichen und hochgebessert werden.

In Toms Flur hängt eine Bilderwand alter Polaroids. Darauf sieht man, daß Frank das Haar früher wie Billy Idol trug. Entwürfe lösen Entwürfe lösen Entwürfe ab. Die Mantras für eine schönere Zukunft heißen jetzt Kookai, Kenzo for Men, Pink Flamingo und Lancôme. Tatsächlich benutzt Mona aber einen Billig-Lippenstift von Manhattan. Selten kommen Entwurf und Ausführung zur Deckung. Die Clique ist eine Gruppe von sich sorgsam selbst erfindenden Hamstern in den Laufrädern des Individualismus. Letztlich „läuft alles einfach nur so, scheißirgendwieso“. Und auch wir kündigen morgen wieder einmal nicht.

Christine Scherrmann: „Frau mit grünen Schuhen“. Steidl Verlag, 202 Seiten, geb., DM 28