: Unterm Strich
Raymond Chandler sagte einmal sinngemäß: Als ich anfing zu schreiben, habe ich mir natürlich überlegt, worüber. Ein psychologischer Roman hätte sich an „Rot und Schwarz“ messen lassen müssen, eine Liebesgeschichte an „Anna Karenina“, und ein Gesellschaftsroman an „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Alles schwer zu übertreffen. Eine plausiblere Geschichte als „Der Hund von Baskerville“ zu schreiben, schien mir dagegen nicht allzu schwierig. Also schrieb ich Kriminalromane. Russische Schriftsteller scheinen heute ähnlich zu denken. Die Zahl der Krimiautoren hat sich fast verzehnfacht, berichtet Wartan Osipian, Chefherausgeber des Quadrat Verlags in Moskau, beklagt allerdings gleichzeitig das Niveau der angebotenen Manuskripte: „Es gibt keine klassische Handlung und Fallklärung wie in Erzählungen von Agatha Christie. Oft weiß man schon von Anfang an, wer der Mörder ist. Blut fließt in Strömen, und fast alle Erzählungen sind sehr stark politisiert.“ In meinen Ohren klingt das immerhin schon besser als „Mörder ahoi“. Krimis, Fantasy und Liebesromane erreichen zur Zeit phantastische Auflagen. Vielleicht ist das meiste Schrott, aber die Titel sind wirklich gut: „Die Geliebte des Präsidenten“, „Erotische Ankedoten“, „Mord in der Avenue der Götter“, „Sibirischer Vogel“ oder „Der Heimfrisör“.
Vermutlich zum letzten Mal wird an diesem Sonntag in Berlin der Europäische Filmpreis verliehen. Die Verleihungszeremonie findet in der „Bar jeder Vernunft“ statt. Den „Felix“ hatte sich die Europäische Filmakademie ursprünglich als eine Art „europäischen Oskar“ gedacht, aber das blieb ein schöner Traum. Spektakuläre Verleihungen mit Tränen, Zusammenbrüchen und hysterischen Anfällen vor laufender Kamera waren in Berlin leider nicht zu machen. Und dann haben die Amerikaner ihre Filme auch irgendwie lieber als wir die unseren. Die Berufung von Wim Wenders und Ingmar Bergman an die Spitze der Filmakademie konnte daran auch nichts ändern. Und so geht der „Felix“ den Weg aller ungeliebten europäischen Dinge: Er wandert nach Brüssel, wo er künftig bei einem Filmfestival verliehen werden soll. Aber auch das muß die Europäische Union erst noch finanzieren wollen. Ein Preisträger steht bereits fest: Der 86jährige französische Regisseur Marcel Carné wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Insgesamt konkurrieren sechs Filme um den Felix.
In Berlin-Pankow soll künftig vor den Resten des alten Tivoli-Kinos ein meterlanges Pflastermosaik an die Filmpioniere Skladanowsky erinnern, auf dem „1895 Bioskop 1995“ geschrieben steht. Die Inschrift bezieht sich auf den ersten kinematographischen Vorführapparat, mit dem die Brüder Skladanowsky in Pankow experimentierten. Der Entwurf der Plastik stammt von dem Berliner Künstler Manfred Butzmann. Aus Pankow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen