■ Keine Fortschritte bei der Bosnien-Friedenskonferenz: Alle bei Laune halten
Das Konklave auf der US-Airbase bei Dayton geht weiter – ohne Anzeichen, daß demnächst weißer Rauch aufsteigt. In allen entscheidenen Fragen gibt es bislang keinen substantiellen Fortschritt. Weder hinsichtlich der Verfassung und territorialen Aufteilung Bosniens, des Ostslawonien-Konflikts sowie der Anerkennung Bosniens und Kroatiens durch Serbien noch bezüglich der Rolle, die die Serbenführer Karadžić und Mladić in Bosnien künftig noch spielen sollen. Die Signale der Zuversicht auf einen baldigen Durchbruch, die die Delegationen Bosniens und Serbien/Montenegros sowie die US-Amerikaner jetzt wieder aussenden, sind lediglich für den jeweiligen nationalen Hausgebrauch bestimmt.
Bosniens Präsident Izetbegović muß dafür sorgen, daß seine Armee in ihren derzeitigen Stellungen verbleibt und die Rückeroberung weiterer serbisch besetzter Gebiete in Nord- und Westbosnien zumindest bis zum Auslaufen der Waffenstillstandsvereinbarung am 11. Dezember unterläßt. Ein Bruch dieser Vereinbarung würde das Verhältnis zwischen Washington und Sarajevo erheblich belasten. Milošević muß ebenfalls befürchten, daß die eigene Armeeführung sowie die nationalistische Opposition in Belgrad allmählich unruhig werden. Die erste Anklage gegen serbische Offiziere durch das Internationale Jugoslawientribunal hat in Belgrad erhebliche Unruhe ausgelöst. Der Druck auf Milošević dürfte weiter wachsen, wenn der Chefankläger Goldstone von den US-Geheimdiensten Informationen erhält, die die führende Rolle von Miloševićs Generalstabschef Perisić bei der Eroberung der UNO-Schutzzone Srebrenica belegen.
Die Clinton-Administration schließlich versucht den US-Kongreß durch Erfolgsmeldungen in Häppchengröße bei Laune halten. Diesem Ziel diente auch die am Freitag abend mit großem Medienrummel inszenierte erneute Bekräftigung der muslimisch-kroatischen Föderationsvereinbarung vom März 1994.
Nur Kroatiens Präsident Tudjman ist derzeit nicht darauf angewiesen, das eigene Lager durch Erfolgsmeldungen bei Laune zu halten. Er hat in Dayton am wenigsten zu gewinnen oder zu verlieren. Er kann es sich leisten, durch den Aufmarsch von Elitetruppen vor Ostslawonien den Druck auf Milošević wie auf die Clinton-Administration weiter zu erhöhen.
Ein Abbruch der Gespräche in Dayton und das Wiederaufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen sind unter diesen Umständen wahrscheinlicher, als der baldige Abschluß einer Friedensvereinbarung. Andreas Zumach, Genf
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