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Eine kurze Geschichte der Stimulanz Von Mathias Bröckers

Das Schreibwerkzeug, notierte einst Nietzsche, „arbeitet mit an unseren Gedanken“. Nietzsche hatte Grund, sich über den Zusammenhang von Werkzeug und Werk Gedanken zu machen – er war der erste Philosoph, der eine Schreibmaschine benutzte. Sein „mit dem Hammer Philosophieren“, der knappe, aphoristische Telegrammstil, entsprang nicht nur der zunehmenden Erblindung und Krankheit, sondern auch den hämmernden Typographen.

Einer anderen Art von Werkzeug, das ebenfalls an den Gedanken mitarbeitet, ist eine kleine Ausstellung gewidmet, die zur Zeit im Berliner Literaturhaus gezeigt wird: den „Stimulantia“. Welche Rolle spielen geistbewegende, rauscherzeugende Substanzen bei der literarischen, künstlerischen Produktion? Die Frage ist im Kulturbetrieb fast so ein Tabu wie im politischen Journalismus die Berichterstattung aus der Bundestags-kantine – wo der heimliche Monarch der Demokratie regiert, König Alkohol. So wenig dem Wahlvolk zugemutet werden soll, die Spitzen der Politik als Verein von Säufern und Suchtkranken zu sehen, so wenig scheint man dem Kulturvolk die Größen der Literatur, Kunst und Musik als einen Haufen von Drogenfreaks präsentieren zu wollen. Da auch die Kulturschaffenden selbst, ähnlich wie Spitzensportler, den Einsatz von Dopingmitteln ungern zugeben und Urinkontrollen im U- und E-Bereich (oder im Parlament) nicht durchsetzbar sind, hat sich eine Grauzone des Nichtwahrnehmens und Herunterspielens gebildet.

Dabei wäre die Kunst- und Literaturgeschichte leergefegt, würden Drogenbenutzer als „Dopingsünder“ daraus entfernt. Von den magischen Pilzen der vorzeitlichen, schamanistischen Priester-Künstler, über die Rausch-Symposien Platons, zu den Opiomanen der deutschen Romantik, den „heiligen Trinkern“ der industriellen Moderne, den Psychedelikern der Post- und Pop-Moderne: Was die Ausstellung präsentiert – anhand der Weinrechnungen Goethes, der Veronal-Rezepte Benns – ist nur die Spitze eines Eisbergs: abgeklopft auf ihre Stimulantia scheint die komplette Kulturgeschichte der Menschheit ein Fall fürs Rauschgiftdezernat. „Potente Gehirne stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide“ – an dieses Rezept des Dr. Benn scheinen sich Geistesarbeiter & Kunstschaffende aller Zeiten gehalten zu haben – indem sie halluzinogene Pflanzen als Denkwerkzeuge und Medium benutzten. Noch im „Pilsen“-Bier unserer Tage klingt das alte Bilsen-Kraut an, das einst dem Bier beigemischt war und die Germanen in rituellem Kontakt mit Himmel und Erde hielt. Das kaiserliche Reinheitsgebot, das die magischen Kräuter verbannte und das Bier auf den Alkoholrausch reduzierte, hatte weniger lebensmitteltechnische als dogmatische Gründe: Die Vielfalt der religiösen Erfahrungen, die Stimluantien des Halluzi-Biers bescherte, war mit dem christlichen „einen Gott“ unvereinbar. Wer sie weiter benutzte, wurde von der Inquisition verfolgt.

Die Frage nach der Stimulanz ist mehr als eine Fußnote: Mit ihr fing die Kultur erst an. Hätte Eva es nicht gewagt, das verbotene Halluzinogen vom Baum der Erkenntnis zu essen, wären wir der Unmündigkeit des künstlichen Paradieses nie entkommen ...

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