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Himmelschreiende Benachteiligung

Von Europas Einheit keine Spur: Unterschiede in den nationalen Rechtssystemen der europäischen Staaten haben katastrophale Folgen für Inhaftierte aus dem Ausland  ■ Von Andreas Heimann

Peter McDougle steckt in der Klemme: Anfang Juli hat ihn die griechische Polizei festgenommen. Seitdem sitzt der 22jährige Engländer in Nafplion im Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, aus dem Büro des Reiseunternehmens, für das er arbeitet, mehrere tausend Pfund gestohlen zu haben. Alles halb so wild, dachte sich McDougle. Schließlich ist Griechenland ein Rechtsstaat und Mitglied der Europäischen Union. Doch dann begannen die Schwierigkeiten.

Die griechischen Behörden lehnten es ab, die Aussagen von britischen Zeugen zu den Akten zu nehmen, die McDougle entlasteten. Sein Antrag, gegen Kaution freizukommen, wurde kurzerhand abgewiesen. „Wir hoffen natürlich, daß er freigesprochen wird, aber wissen kann man das nie“, sagt Gudrun Parasie, Mitarbeiterin von „Fair Trials Abroad“. Die 1992 in London gegründete Organisation kämpft für faire Gerichtsverfahren von EU-BürgerInnen, die im Ausland mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind.

McDougle ist kein Einzelfall. Die Zahl der EU-BürgerInnen, die im Ausland in Haft oder Untersuchungshaft sitzen, geht in die Tausende. Rund 580 Deutsche sind nach einer Statistik von „Fair Trials Abroad“ allein innerhalb der EU hinter Gittern.

Als die Organisation vor drei Jahren von dem Rechtsanwalt Stephen Jakobi ins Leben gerufen wurde, erwartete „Fair Trial Abroad“, vor allem mit EU-BürgerInnen zu tun zu bekommen, die in Asien, Afrika oder Lateinamerika in Schwierigkeiten geraten. „Wir waren ziemlich überrascht, daß es innerhalb der EU genau die gleichen Probleme gibt“, sagt Gudrun Parasie, und tatsächlich: Belgier, die in Portugal, oder Holländer, die in Italien in Haft sind, können nicht damit rechnen, die gleichen Rechte zu haben wie Mithäftlinge aus dem Land selbst. Von den 100 Fällen, um die sich „Fair Trial Abroad“ gezielt kümmert, betreffen gut 80 Prozent EU-Staaten.

Die Diskriminierung von AusländerInnen hat schon vor Prozeßbeginn weitreichende Folgen. Diese bittere Erfahrung hat auch Roy Clarke machen müssen, ein Lastwagenfahrer aus England, der im Februar vergangenen Jahres in Spanien festgenommen wurde. Die spanischen Behörden warfen ihm Drogenschmuggel vor. In seinem Lastwagen waren bei der Grenzkontrolle zweieinhalb Tonnen Cannabis entdeckt worden.

Clarke kam in Untersuchungshaft. Eine Freilassung gegen Kaution kam nicht in Frage, eben weil Clarke seinen festen Wohnsitz in England und nicht in Spanien hat. Während seine Frau Virginia eine Kampagne startete, um auf den Fall ihres Mannes aufmerksam zu machen, saß der in Malaga und wartete auf seinen Prozeß – 19 Monate lang. Anfang Oktober wurde er freigesprochen, weil für das Gericht an seiner Unschuld kein Zweifel bestand. Doch Clarke ist seinen Arbeitsplatz los und mußte zur Finanzierung des Prozesses sein Haus verkaufen.

„Ein klassischer Fall“, sagt Gudrun Parasie. Oft ist es schon schwierig, qualifizierte Rechtsanwälte zu finden, die auch die nötigen Sprachkenntnisse haben. Zusätzliche Komplikationen gibt es, wenn Zeugen aus dem Ausland kommen müßten, aber nicht vorgeladen werden können. Selbst wenn schon abzusehen ist, daß die Staatsanwaltschaft mit der Anklage nicht durchkommen wird, sitzen AusländerInnen unverhältnismäßig lange hinter Gittern: „Manchmal dauert es Jahre, bis der Prozeß beginnt“, sagt Parasie.

Ihre Organisation ist in Deutschland noch unbekannt, in England dagegen wird sie längst ernst genommen. Dort sorgt der Fall der 48jährigen Brenda Price für Schlagzeilen, die am 5. Oktober bei einem Tagestrip nach Frankreich festgenommen wurde, weil den französischen Behörden ein über vier Jahre alter spanischer Haftbefehl vorlag. Wegen des gleichen Dokuments war sie bereits im Januar 1993 in England festgenommen worden. Damals bestanden die spanischen Behörden nicht auf Auslieferung, Price kam auf freien Fuß. Doch weil der Haftbefehl nicht aufgehoben wurde, sitzt sie nun wieder – und keiner weiß wie lange.

„Fair Trial Abroad“ hat ein paar Ideen, wie so etwas verhindert werden kann: Zum Beispiel arbeitet die Organisation an einer Art Datenbank mit Informationen über kompetente Rechtsanwälte in allen Teilen der Welt. Zum anderen fordert sie eine EU-weite Kautionsregelung, die verhindert, daß EU-BürgerInnen monatelang in U-Haft sitzen.

Vom Europäischen Parlament verlangt die Organisation, daß sich die Abgeordneten für die Harmonisierung der Rechtssysteme in Europa einsetzen: „Vor allem“, sagt Gudrun Parasie, „muß gewährleistet sein, daß AusländerInnen bei der Beschaffung von Beweismaterial und ZeugInnen nicht mehr in so himmelschreiender Weise benachteiligt sind wie bisher.“

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