: Ohne Gedanken an Schuld und Sühne
■ betr.: „Shell will bei den Henkern bleiben“, „Der Buddha hofiert Pe king“, „Für ihr Lebenselexier geht die Diktatur über Leichen“, „268 Hammel gegen Iran“, taz vom 13. 11. 95
Mit dem Mord an Ken Saro- Wiwa und seinen acht Mistreitern reiht sich Nigeria nun auch offiziell in die Reihe der Staaten ein, die Hindernisse aller Art einfach mit Gewalt aus dem Weg räumen. Mehr Übung in solchen Dingen hat zum Beispiel die chinesische Staatsdiktatur, die immer noch nahezu wöchentlich unliebsame Personen verschwinden läßt. Oder der Nato-Partner und EU-Aspirant Türkei, der dazu auch mal ins Nachbarland Irak einmarschiert. Was dem einen sein Ogoni, ist dem anderen sein Tibeter oder Kurde.
Was treibt Menschen eigentlich dazu, derart rücksichtslos gegen andere Menschen und die uns tragende Natur vorzugehen? Vermutlich erscheint ihnen der greifbar nahe und persönlich extrem wichtige Gewinn von Prestige, Macht und/oder Geld viel zu verlockend, als daß sie es sich leisten könnten, so antiquierten Werten wie zum Beispiel Freiheit, Gleichheit und Solidarität mit allem Lebendigen nachzuhängen.
Auch das nigerianische Militärregime ließ sich durch weltweite Proteste nicht von seinen machtpolitisch motivierten Greueltaten abhalten. Es befindet sich damit in bester Gesellschaft mit dem demokratisch gewählten Staatspräsidenten Chirac. Frankreich läßt keine Oppositionellen hinrichten, jedoch tötete der französische Geheimdienst bei der Versenkung eines Greenpeace-Schiffes auch einen Menschen, wofür die Täter sogar einen Orden bekamen. Ebenso wie Shells Öl mit Hilfe General Abachas den Lebensraum und das Leben der Ogonis vernichtet, zerreißen und verstrahlen Chiracs Atombomben idyllische Südseeatolle einschließlich der dort lebenden Menschen. Würden die Entscheidungsträger von Staaten und Konzernen tatsächlich auf Mahnungen, Appelle und Drohungen anderer reagieren oder gar eigene Fehlentscheidungen eingestehen, so würde das von der Konkurrenz unweigerlich als Schwäche ausgelegt werden, womit zwangsläufig das persönliche Gewinnkonto (siehe oben) ins Soll rutscht. Irren wäre ja irgendwie menschlich, und wenn ein (geläuterter) Machtmensch es tatsächlich einmal ernst meint mit der Menschlichkeit, muß er um sein Leben bangen: J. Rabin, O. Palme, J. F. Kennedy.
„Sanktionen beschloß das Commonwealth nicht“, denn schließlich hat ja auch der scheußliche Krieg im ehemaligen Jugoslawien deutlich gemacht, daß es für die internationale Staatengemeinschaft offenbar leichter ist, einen Krieg gegen den Krieg zu führen, als den kriegführenden Parteien den Nachschub an Energie und Waffen zu verweigern. Letzteres hätte einigen EU- und Natopartnern ganz schön das Geschäft versaut; und Nigeria liefert so billiges Öl. Inzwischen kann man sich noch nicht einmal mehr auf gemeinsame Protestnoten einigen, wie der Eklat in Auckland um die Atomtest-Frage gezeigt hat.
Und was macht die Bundesregierung? 1989 hat sie sich noch zu Protesten und Sanktionen hinreißen lassen, wofür der „Buddha“ jetzt persönlich Buße tut. Aus Fehlern wird gelernt! Der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt verzichtet seit geraumer Zeit auf derartige ökonomische Selbstgeißelungen und verkauft alles an jeden, ganz ohne Gedanken an Schuld und Sühne. Was auch immer die Herrschenden in China, der Türkei, in Frankreich oder Nigeria machen, es ist eine innere Angelegenheit souveräner Staaten. Jeder kann tun und sagen was er will, wenn nur nicht die (wirtschaftlichen) Belange eines anderen Staates berührt werden. In diesem Klima der Toleranz findet es Herr Kinkel geradezu empörend, wenn „268 Hammel gegen Iran“ votieren, nur weil dieser Staat den Mord an J. Rabin öffentlich für gut und als Rache Gottes befunden hatte.
Und was machen wir? Wir trauern um Ken Saro-Wiwa, tanken weiterhin Shell (schließlich hat Greenpeace sich ja auch geirrt), fahren im Urlaub wieder in die Türkei, trinken wieder oder immer noch Champagner und wählen weiterhin die Propheten des durch nichts zu behindernden freien Marktes. Schließlich sind wir alle doch nur Menschen, und alle Menschen sind doch bekanntlich gleich – oder? Bernd Höppner, Freiburg
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