: Und droben lächeln die Putten
■ Einige unfeierliche Anmerkungen zum zehnjährigen Bestehen des Literaturhaus-Vereins
Unter Engeln. So sitzt man während der Lesungen im Saal des Hamburger Literaturhauses. Vor sich der berühmte Dichter, neben sich die Dame mit der Pinot-Grigio-Karaffe. Und über allem grinsen die Putten.
Heute werden die Engel wohlwollend auf ein buntes Treiben blicken. Denn im vergangenen Jahr beging das Literaturhaus den fünften Jahrestag seiner Eröffnung, seinen zehnten Geburtstag feiert aber heute schon der Literaturhaus-Verein. Vom Zeitpunkt seiner Gründung bis zum Erreichen seines Gründungszwecks, der Eröffnung des Hauses, vergingen fast vier Jahre – mit Überzeugungsarbeit, der Suche nach einem geeigneten Objekt, der Renovierung und mit dem Auftreiben des vielen Geldes, das das alles kostete – bekanntlich machte erst eine generöse Spende von Zeit-Verleger Gerd Bucerius die Sache möglich.
Die Zeiten, in denen in der taz hamburg über den „Kulturtempel“ Literaturhaus gespottet wurde, sie sind vorbei. Denn lieber ein prunkvolles Literaturhaus als gar keins. Und das, was die Programmchefin Ursula Keller auf die Beine stellt, das kann sich ja auch durchaus sehen lassen. Rang und Namen bis zum Nobelpreisträger, spannende Debattanten, junge Autoren: Es ist alles dabei. Daß über dem Ganzen dann aber doch oft eine gewisse weißweinkompatible Bildungstümelei, eine die intellektuelle Anstrengung ins angenehm Unverbindliche eines unterhaltsamen Abends biegende Atmosphäre herrscht, ist ganz bestimmt nicht der Fehler des Programms. Aber man muß es sagen, auch an einem zehnjährigen Geburtstag: Das Literaturhaus atmet eine gewisse Beflissenheit. Genausogut wie an einem Ort der Kultur, befindet man sich hier eben auch in einer guten Stube: Warum auch immer, irgendwie läuft man stets mit gedanklichen Puschen durch den Saal.
Andererseits: Auch schon die bürgerlichen Salons der Aufklärungszeit, in denen man die Kunst der gemeinsamen Lektüre pflegte, sollen rein gesellige Aspekte gehabt haben. Und überhaupt würden wir sofort zugeben, daß lügt, wer pauschalisiert. Trotzdem hat der Autor bei vielen seiner Bekannten das Literaturhaus betreffend eine merkwürdige Mischung angetroffen: Sie bestand aus gesteigertem Interesse an vielen Veranstaltungen (etwa den Reihen „Perspektiven metropolitaner Kultur“ oder „Deutschland aus der Ferne gesehen“) und gelassener Genervtheit aufgrund der Begleitumstände (Weinkaraffe, Parfümwolken, Signierschlangen). Daraus wäre folgende Folgerung zu ziehen: Es gilt immer noch, sich diesen Platz zu erobern.
Bis dahin muß man dann eben selbst dem Kitsch etwas abgewinnen. Was, wenn man sich denn in den heiligen Hallen nicht mehr ganz so einsam fühlt, auch gelingen kann. Hinrich Schmidt-Henkel, Vorstandsmitglied des Literaturhauses, kolportiert gerne einen Spruch, der Margaret Atwood vor einer Veranstaltung, die Putten betrachtend, entfuhr: „What a funny place to read. With all these cut heads.“ Da mußten selbst die Engel lächeln.
Dirk Knipphals
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