Wenn Frauen zu viel basteln

■ Beim Bäumchenschmücken im Lametta verfangen und erstickt – das ist der Heldinnentod jeder Hausfrau, „flink gezaubert für eine schöne Zeit“

Mutter zieht die Pistole: „Na, mach schon“, schnarrt sie und preßt den Finger auf den Abzug. Endlich schlappt ein Tropfen aus dem Pistolenlauf. Aber wohin? Sie hat es geahnt, wenn nicht gewußt. Von wegen Klebepistole – einfach, sauber und schnell. Jetzt ist der Wandbehang „Heilige drei Könige“ endgültig versaut.

Alle Jahre wieder kommt das Extra-Heft. Bastel- und Brutzelanleitungen und beiläufig der Text eines Liedchens, das Muttern bei der Arbeit auf den Lippen haben darf. Das Töchterchen geht singend zur Hand, wenn es gilt, der Einbauwohnung den Charme eines Knusperhäuschens zu verleihen. In blanker Vorfreude aufs Fest der Liebe üben sich weibliche Wesen alljährlich im Spagat zwischen der „Weihnachtsnachtigall als Brettsägefigur“ und der Weihnachtsgans in der Bratröhre. Auf dem Küchentisch liegen Sets und Servietten in Reliefstickerei, Scheibensterne aus Styropor, Sektorenkugeln in der Behang- oder Einzelform, gefaltete Weihnachtsrosen als Tischzeichen, gebündelte Neurosen in Transparenttechnik. Wie bitte?

„Gesägt, gebunden, geflochten, gebacken, ausgeschnitten“, propagieren die Frauenzeitschriften ihre diesjährige Foltervariante für die Frau. Selbstkritisch wird eingeräumt, daß die Leserin all die guten Ratschläge nicht pünktlich zu realisieren vermag: „Wundern Sie sich nicht, wenn es mitten in ihren Vorbereitungen plötzlich der 24. Dezember, 18 Uhr ist. Das ist normal, eine Art Naturgesetz. Werfen Sie das Nudelholz in die Ecke, und umarmen Sie gutgelaunt die Lieben.“ Von Natur aus also ist frau eine Versagerin. Und dafür soll sie büßend ihre Lieben lieben.

Sie wird nicht fertig, weil sie schon vorher völlig fertig ist. Dazu kommt alle Jahre wieder die bange Frage: Werden die mit einer schlanken Blechschere auszuschneidenden Herzkerzen auch genauso schön wie die in der Frauenzeitschrift? Geraten die Herzanhänger aus dem Ofen genauso gut wie die von der thüringischen Urgroßmutter, die die Frauenzeitschrift ausbuddelte? Die Kontrastzeichengrußblätter, die Patchworksterne auf Filzpantoffeln und Bettdecke, die schönen Engel und alten Schachteln? Der sächsische Tunscheer und das süddeutsche Paradeiserl oder das „kleine Kripperl, ein schönes Geschenk für Einsame und Kranke“? Das schaffen bestenfalls Profibastlerinnen, die sie sich mit aller Hingabe das ganze Jahr über zurückziehen und nichts anderes tun, als zu basteln. Was wiederum einsam und krank macht.

Die normale Hausfrau indes bastelt sich mit jedem Objekt den Beweis der eigenen Unzulänglichkeit. Ergebnis: Klassenziel erreicht. Eine Frau ist eben doch nur eine Frau. Immer bleibt sie im Versuch stecken, in der Feststellung: Ich kann das nicht wirklich. Und läßt sich von jedem Kreativ-Angebot neu verlocken, hoffend, daß es doch mal was wird. Sie kocht asiatisch, malt seiden, zinnlötet Fenster, beklebt Schächtelchen, kartoffelt Druck, stickt erstickt, alles für die Lieben.

„Ein ausgeklügeltes patriarchales Täuschungsmanöver“, konstatiert die feministische Pädagogin und Tischlerin Martina Emme. „In seiner Struktur gleicht das heutige Ich-kann-nicht von Frauen dem Du-darfst-nicht, das früheren Frauengenerationen entgegengehalten wurde: Die gewandelte Erscheinungsform des Ich-kann-nicht hat sich in der Psyche von Frauen angesiedelt und wirkt von da wie ein Verbot.“ Bis zur Bewegungslosigkeit verstrickt sich die Frau, verheddert sich im Bim-Bam der Glückseligkeit.

Damit das so bleibt, eilen anteilnehmende Medienkampagnen den Frauen zu Hilfe. Geben Anleitungen zur „Kreativität“. Die Angebote sind so vielfältig, daß jegliches Aufkommen eigener Einbildung im Keim erstickt wird. Alles ist vorgegeben, es soll und kann sich nichts mit Phantasie entwickeln, was über den Rahmen von Malen nach Zahlen hinausginge. Räume farbig auszufüllen war schließlich schon immer die Aufgabe der Frau.

Im Schublädchen der vorgestrichelten Entfaltungsmöglichkeiten wirds immer bunter. Dabei begann alles so bescheiden. Der Weihnachtsbaum als Datenträger der guten Hoffnung wurde um 1600 im Elsaß und im Schwarzwald eingesetzt. Der Adventskranz zog erst um 1900 in deutsche Wohnstuben ein. Seine Anfänge waren ziemlich mickrig: Ein Teller mit vier Kerzen und ein paar Tannenzweiglein. Heute ist die so symbolisierte asketische Vorfreude längst in den Bereich der immerwährenden Glanzstimmung langer Samstage übergeglitten. Mit allen Verhaltensvorschriften im Wortlaut der Werbung: „Ich muß noch, hab noch nicht, ...“

Aber gib es ruhig zu, du bist gerührt von erzgebirgischer Volkskunst und den Gebirgen pausbäckiger Erzengel. Von den Massiven handgearbeiteter Eigentlichkeit in Watte, Holz und Tannengrün. Leis aber vernehmlich bricht sich an ihm das Echo der Erinnerung: Was Selbstgemachtes hat immer noch am meisten Seele. Ein beunruhigender Gedanke? Aber was, die mangelnde Phantasie übernimmt der fertige Bausatz.

Die Techniken der Massenmedien, schreibt Henri Levebvre in seiner „Kritik des Alltagslebens“, schaffen selber nichts und stimulieren auch keinerlei Kreation. „Sie verbrauchen die über Jahrhunderte akkumulierten Güter, in Fortsetzung einer allgemein feststellbaren historischen Tradition: Die Geschichte hat viele Quellen des schöpferischen Handelns trockengelegt, und sie tut es, – bis auf weiteres – noch heute.“

Besonders Frauen werden durch die Massenmedien infantilisiert. Dabei ist immer bereits bekannt, was frau fühlt, wenn sie sich mit geformtem Geschmack und getrübtem Blick auf die Jagd begibt, um die ihr zugestandenen Räume mit Putz und Putzigkeit auszulegen: „Ihr Spaziergang hat Ihnen nicht nur Material, sondern reichlich Stimmung oder Eindrücke vermittelt. Fangen Sie diese in Sträuße (juchhei, die Red.), Gestecke oder Kränze ein. Es gibt zarte, herbe, duftige, romantische Sträuße – und dies alles aus der mitgesammelten Stimmung heraus.“ (Steinberg, Advents- und Weihnachtsschmuck)

Sträuße aber sind vom Aussterben bedroht und lassen sich heutzutage nicht mehr so einfach einfangen. Es kann nicht verwundern, wenn daher eines der höchsten Gebote des Basteltümelei derzeit im Recycling besteht. Die BRIGITTE etwa läßt die urbane Hausfrau ganz zufällig „in einem Abbruchhaus eine kleine, vom Alter schön gewordene Bretterwand“ finden. Woraus die emsigen Hände alsbald einen Stern sägen. „Sterne aus Goldpapier sind weihnachtlich vertraut. Doch ein Stern aus alten Brettern, das ist eine Neuerscheinung am Weihnachtshimmel. Hier kann sich jeder seinen Sterntyp heraussuchen.“

Doch Achtung! Es besteht Einbruchgefahr, wenn man die Frauen so durch die Abbruchhäuser hetzt. Womöglich klettern demnächst Heerscharen von Hausfrauen über Schrottplätze, während zu Hause die Plätzchen verkohlen. Alte Autoreifen werden zum Adventskranz gebunden, angespottet von Leuchtkugeln und Ampelarrangements. Spieldosen hupen das Lied vom Tod, ein neonfarbenes Sprühdosengesteck ziert die Fensterbank, während im Ofen herrliche Krampen dampfen. Farbeier hängen in rostigen Drahtgehäusen, handgehäkelte Haßkappen mit Sternchen schmücken die Sitzecke. Und die Frauen treffen sich jeden Adventssonntag, um Bastelanleitungen zu zerschnippeln.

Aber nein, wer will schon zum Fest der Liebe den Teufel an die Wand malen? Der kulturelle Reichtum, den uns die „heilige Familie zum Ausstanzen“ schenkt, ist nicht zu unterschätzen. Vielleicht war die Bastelleidenschaft schon in der Krippe geboren, und die verkörpert den Archetyp des ersten Ikea-Möbels – zusammenstecken, auseinandernehmen, verstauen?

Ein schön geschwungener Bogen zur Moderne, nicht wahr? Dazwischen liegen, immer wieder tough, Uromas Häkelspitzen - Ornamente der Tradition, die tief in die Haut der Frau eintätowiert sind. Es scheint, als wäre es noch langer Weg zur Befreiung der Hausfrau aus dem Bimbam, in dem sie sich verheimlichen läßt zwischen Festbraten, dem Arrangement der bunten Teller und dem Absingen stimmungsvollen Liedgutes.

Dora Hartmann