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Digitales Klassenzimmer

Auf einem Kolloquium in Berlin diskutierte man den Nutzen neuer Off- und Online-Medien für die internationale Kulturvermittlung  ■ Von Ulrich Gutmair

Kein besserer Ort hätte gefunden werden können für das Kolloquium „Neue Medien in der Auswärtigen Kulturpolitik“ als das Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Dort wurde im Sommer parallel zu einer Ausstellung über Kunst der australischen Aborigines ein Internet-Café eingerichtet. Diese Woche tagten nun Vertreter der sogenannten Mittlerorganisationen wie Goethe Institut, Institut Français, Voice of America und des veranstaltenden Instituts für Auslandsbeziehungen, unterstützt von Wissenschaftlern und Firmenvertretern, um eine Diskussion über den Nutzen neuer Off- und Online-Medien für die Kulturvermittlung in Gang zu bringen.

Über eines waren sich alle einig: Neue Kommunikationswege wie das Internet können die traditionellen Angebote nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Projekte wie das „Transatlantische Klassenzimmer“ der Koerber-Stiftung machen den Dialog zwischen SchülerInnen in Deutschland und den USA via Internet überhaupt erst möglich. Solche people to people diplomacy kann nur mit Hilfe elektronischer Netzwerke geleistet werden, will man nicht 30 Schulklassen für ein Jahr lang ins Ausland schicken. Auch Angebote wie Deutschkurse, die zu den Standards auswärtiger Kulturpolitik zählen, können durch die Netze neue Klienten erreichen.

Der wichtigste Aspekt des Internets ist aber wohl der, daß es fernab staatlich subventionierter Kulturpolitik per se ein Ort transkultureller Kommunikation ist. Im Gegensatz zu den klassischen Massenmedien eröffnen die Netze einen völlig neuen Raum für die zwischenmenschliche Kommunikation auf internationaler Ebene.

Hier ist jeder Sender und Empfänger zugleich. In einer Welt mit Hunderten von Fernsehkanälen und verschiedensten Online-Diensten sieht sich eine Organisation wie das Goethe Institut allerdings einem bis dato unbekannten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Seine Angebote müssen mit denen der internationalen Entertainment-Industrie, die das Internet langsam, aber sicher kolonisiert, konkurrieren. Im Hinblick auf die inhaltlich, technisch und ästhetisch oft unergiebigen Angebote in den Netzen könnte den Mittlerorganisationen aber eine neue Funktion zukommen, nämlich qualitativ hochwertige Produkte anzubieten, von denen auch die Menschen in den eigenen Ländern profitieren könnten. Im nächsten Jahrzehnt wird vermutlich die Hälfte aller Kundenkontakte des Goethe Instituts via Internet zustandekommen, schätzt ein Mitarbeiter.

Die Dezentralisierung herkömmlicher Kommunikationsstrukturen scheint als willkommenen Nebeneffekt die Entwicklung dezentraler Entscheidungsprozesse und eine Hinwendung zu den Bedürfnissen potentieller Empfänger nach sich zu ziehen. Die Arbeitsweise der Voice of America (VoA) hat sich durch die digitale Verarbeitung von TV- und Radioproduktionen bereits grundlegend verändert. Während der Sender früher ein Programm erstellte, das eins zu eins in die Sprachen der Empfängerländer übersetzt wurde, sieht sich die Zentrale der VoA heute vor allem als Informationsdienstleisterin für die Kollegen vor Ort, die mit lokalen Medienanbietern zusammenarbeiten. Digitale Sendebausteine können auf verschiedene Art und Weise aufbereitet werden. Heute produziert VoA beispielsweise eine wöchentliche Radiosendung für Haiti, die in kreolisch gerappt wird, der dortigen oralen Tradition also entgegenkommt.

Solche Produktionen folgen der neuen Doktrin der Zielgruppenorientiertheit in den Mittlerorganisationen. Das Sprechen von der Zielgruppe trägt auch der Tatsache Rechnung, daß die Klientel der traditionellen Angebote der Mittlerorganisationen immer schon eine Bildungselite in den Empfängerländern gewesen ist. Mit der offenen Zielgruppendiskussion wird aber auch deutlich, daß die immer wieder geäußerte Warnung vor neuen Ausschlußverfahren, die High-Tech-Medien wie das Internet mit sich bringen, in Hinblick auf eben diese Arbeitsweise der Mittler überflüssig ist: Die potentiellen Ansprechpartner für Kunstausstellungen und Internet-Anschlüsse sind die selben. Die Forderung afrikanischer Länder nach Anbindung ans Netz bleibt trotzdem berechtigt. Ihr kommen derzeit nur Non-profit-Organisationen wie die APC (Association for Progressive Communications, http://www.apc.org) entgegen, die weltweit NGOs vernetzt.

Die Ehrlichkeit bezüglich der Beschränktheit des eigenen Tuns, die sich in der Zielgruppendiskussion offenbart, schlägt allerdings in Zynismus um, wenn ein Mitarbeiter des Goethe Instituts erklärt, ein Vorteil der elektronischen Netzwerke sei zum Beispiel, daß sich ein Mexikaner nicht mehr der Gefahr aussetze, beraubt zu werden, wenn er einen Deutschkurs besuchen möchte; wer Deutsch lernen kann, outet sich in Mexico City schließlich als Besitzender. Mit einem Internet-Sprachkurs kann das nicht passieren!

Die Pflichtrhetorik von der Ausschlußgefahr spiegelt also nicht unbedingt ein tatsächlich vorhandenes Bewußtsein wider. Dabei hätte ein intensiverer Blick auf die parallel laufende Medienkunstausstellung „flow of reaction“ (bis 26. November im HdKdW) eben dieses Bewußtsein über Versprechen und Realität von Medientechnologien schärfen können: Eine Installation zeigt Teddybären vor einer Wand, die für Erinnerung und damit auch für die digitalen Datenspeicher stehen und deren Augen durch kleine Kameras ersetzt wurden. Hinter der Wand aber offenbart sich der billige Betrug der Plüschtiere, die uns auf den ersten Blick wohlige Vertrautheit suggerieren: Dort stehen die Monitore der Überwacher.

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