: Ruanda-Prozesse in weiter Ferne
Eineinhalb Jahre nach den Massakern schleppen sich die Vorbereitungen zum UNO-Tribunal dahin. Wann die Verhandlungen beginnen – und wer angeklagt wird, ist noch offen ■ Aus Arusha Bettina Gaus
Wenigstens der Mietvertrag ist inzwischen unterschrieben. Viel weiter sind die Vorbereitungen der UNO zum Ruanda-Völkermordtribunal aber noch nicht gediehen – eineinhalb Jahre nach dem Sturz des alten Regimes in Kigali.
Im tansanischen Arusha haben die Vereinten Nationen jetzt das Internationale Konferenzzentrum (AICC) angemietet, für die Dauer von vier Jahren. Der rund 4.000 Quadratmeter umfassende Gebäudekomplex war einst als Hauptsitz der Ostafrikanischen Gemeinschaft geplant. Noch im März hatten UN-Vertreter in Kigali versprochen, die Prozesse zum Völkermord an der ethnischen Tutsi-Minderheit in Ruanda würden „spätestens in der zweiten Jahreshälfte beginnen. Davon ist nicht mehr die Rede: Im Februar, so heißt es jetzt bei der UNO, sollen nun wirklich die ersten Gerichtsverhandlungen stattfinden.
Begründet wird die Verzögerung lieber mit „verwaltungstechnischen Problemen“ als mit den weiterhin offenen politischen Fragen. So wird im Konferenzzentrum von Arusha vorläufig gewerkelt und gebaut. „In den nächsten Tagen kommen die Teppiche, die Vorhänge haben wir schon“, erklärt AICC-Geschäftsführer Edwin Shetto in den frisch gestrichenen Büros, die im Dezember von den ersten der insgesamt etwa 200 Angestellten des Tribunals bezogen werden sollen.
Andere Umbauarbeiten werden mehr Zeit in Anspruch nehmen: „Der Gang hier wird mit dicken Glaswänden abgedichtet, um den Zugang zum Rest des Gebäudes abzuschotten“, erläutert Shetto. „Auch die Lobby wird ganz anders aufgeteilt. Ich glaube, hier sollen provisorische Zellen für die Angeklagten gebaut werden.“ Völlig neu gestaltet werden müssen außerdem die beiden Konferenzräume, die derzeit für etwas mehr als 100 Personen Platz bieten und als Gerichtssäle dienen sollen. „Da müssen erst einmal Wände eingerissen werden“, sagt Shetto.
Mit derlei Aktivitäten kann man sich noch über eine recht lange Zeit hinweg beschäftigen. Denn immer noch ist nicht bekannt, wer in Arusha überhaupt vor Gericht gestellt werden soll. Von der neuen Regierung Ruandas wird eine Liste mit 400 Namen verteilt, deren Träger als Hauptverantwortliche für die Massaker gelten, bei denen im vergangenen Jahr zwischen 500.000 und einer Million wehrlose Kinder, Frauen und Männer hingemetzelt worden waren.
Die kenianische Regierungszeitung Kenya Times hat allerdings jetzt einen Brief des Chefanklägers im UNO-Tribunal, Richard Goldstone, an Rechtsanwalt Luc de Timmerman veröffentlicht, der einige Repräsentanten des gestürzten ruandischen Regimes vertritt. Darin versichert Goldstone, er werde diese Liste nicht benutzen, sondern seine Entscheidungen „allein auf der Basis von Beweisen und nicht aus politischen Gründen“ treffen. Daraus zieht das kenianische Blatt den gewagten Schluß: „Das Tribunal hat gesagt, daß keiner der Verdächtigen in irgendwelche kriegerischen Handlungen verwickelt gewesen ist.“
Derartige Behauptungen werfen ein Schlaglicht darauf, wie schwer sich die UNO bisher mit der Beweisführung im geplanten Tribunal tut. Dabei fehlt es nicht an Zeugen. Aber die politischen Kontroversen und Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit dem Völkermord in Ruanda sind vielschichtig: Das Ausland hatte den Massakern weitgehend tatenlos zugesehen. 90 Prozent der in Ruanda stationierten UNO-Soldaten waren kurz nach Beginn des Blutbads abgezogen worden.
Noch als bereits Hunderttausende von Zivilisten abgeschlachtet worden waren, weigerte sich der UN-Sicherheitsrat, von einem Genozid zu sprechen. Ausländische Politiker nannten die Ermordeten „Opfer eines Bürgerkrieges“. Einigen hohen Repräsentanten des Regimes gelang die Flucht mit Hilfe ausländischer Diplomaten und französischer Truppen. Rony Brauman, Gründer und langjähriger Präsident der Hilfsorganisation Médecins sans frontières, faßt in einem Buch zum Thema die Lage in dem Satz zusammen: „Angesichts eines Völkermords erklärt die Welt ihre Neutralität.“ Daran hat sich bislang wenig geändert. Auch Personen, die von unabhängigen ausländischen Beobachtern öffentlich als Drahtzieher der Massaker bezeichnet worden sind, wie die Witwe des getöteten ruandischen Präsidenten Habyarimana oder der Betreiber des berüchtigten Hetzsenders Radio Mille Collines, leben unbehelligt im Exil.
Zu Verhaftungen kam es bislang fast ausschließlich in Ruanda selbst. Die Gefängnisse dort sind überfüllt, die Haftbedingungen menschenunwürdig. Festgenommen wurden Männer und Frauen, denen zwar die Ausführung, nicht aber die Planung von Morden zur Last gelegt wird. Bizarres Paradox: Sie müssen entsprechend dem Landesrecht mit der Todesstrafe rechnen – das UNO-Tribunal sieht als Höchststrafe für die Hauptverantwortlichen lebenslängliche Haft vor.
Wo Verurteilte diese abbüßen sollen, ist eine der vielen noch offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Tribunal, auf das sich allmählich nun wenigstens die Geschäftsleute von Arusha vorbereiten. „Ständig kommen hierher zu uns Leute, die ihre Häuser den UNO-Angestellten vermieten wollen“, erzählt Edwin Shetto. „Die Mieten und auch die Preise für alles andere werden ganz schön in die Höhe gehen.“
„Das Ruanda-Tribunal wird Geld nach Arusha fließen lassen“, titelte die Arusha Times frohgemut schon im September und rechnete vor, daß die lokale Geschäftswelt monatlich mit mindestens 800.000 Dollar zusätzlichen Einnahmen wird rechnen können.
Aber nicht jeder in Arusha sieht dem Tribunal hoffnungsvoll entgegen. Der Gefängnisdirektor fürchtet Sicherheitsprobleme und wollte dem Vernehmen nach nicht einmal mit einer vorbereitenden UN-Delegation reden. Statt dessen habe er auf Ansprechpartner in der tansanischen Regierung verwiesen. Und Bürgermeister Philip Kivuyo steht den kommenden Ereignissen ratlos gegenüber: „Wir sollen die Straßen hier ausbessern, aber bisher fehlt uns dafür das Geld. Ich bin auch noch zu keinem einzigen Treffen hinzugezogen worden. Wann soll dieses Tribunal eigentlich beginnen?“ Ja, wer das sagen könnte...
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