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Wenn die Polizei sich bedroht fühlt

■ Kreuzberger Jugendliche beobachten brutales Vorgehen von Polizisten bei Festnahme eines betrunkenen Randalierers und werden selbst festgenommen

Für vier Jugendliche, die einige Stunden in den Jugendräumen in der Kreuzberger Friedrichstraße verbringen wollten, endete der Sonntag mit Festnahmen und Anzeigen. Die Polizei wirft den 15- bis 19jährigen Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Gefangenenbefreiung und Beleidigung vor.

Die noch am Abend wieder freigelassenen Jugendlichen hatten die Festnahme eines Mannes beobachtet. Dieser habe nach Polizeiangaben in einer Kneipe in der Friedrichstraße randaliert. Erschrocken über das brutales Vorgehen der Polizei, so Jugendleiter Günther Orlopp, sprachen die Jugendlichen die Beamten an. „Diese Nachfragen“, so Orlopp, „wurden anscheinend von den Polizisten als Bedrohung empfunden.“ Nachdem die Polizei die Personalien eines 17jährigen schwarzen Deutschen aufgenommen hatte, habe sich die Situation beruhigt. Kurze Zeit später seien aber etwa dreißig Mannschaftswagen und „fünfzig bis hundert“ Polizisten vor den Gemeinschaftsräumen erschienen. Der Einsatzleiter habe ihm gesagt, so der Leiter der Jugendeinrichtung, Orlopp, daß er drei Jugendliche wegen einer Sachbeschädigung und versuchter Gefangenenbefreiung festnehmen müsse.

Ein Vorhaben, das Orlopp überhaupt nicht verstehen kann. Die Gaststätteninhaberin hatte ihm gesagt, daß die Sachbeschädigung ohne Beteiligung von Jugendlichen aus seiner Jugendgruppe zustande gekommen sei. Dies hätte auch der Inhaber der Polizei bei der Festnahme des alkoholisierten 23jährigen Mannes mitgeteilt.

Ein Polizeisprecher dagegen begründet das große Aufgebot damit, daß Jugendliche versucht hätten, „Amtshandlungen zu behindern“. Das „massive Erscheinen von etwa fünfzig Beamten“ sei angesichts einer „Übermacht der Jugendlichen“ nötig gewesen. Es sei zu befürchten gewesen, daß aus der Gruppe der etwa vierzig Jugendlichen heraus eine Gefangenenbefreiung versucht werde. Eine Befürchtung, über die Jugendleiter Orlopp nur den Kopf schütteln kann: „Die Jugendlichen haben nur verbal protestiert.“

Ein Verhalten, das von den Polizisten mit brutalem Vorgehen quittiert wurde. Ein Jugendlicher sei aus der Menge herausgezerrt und festgenommen worden, so Orlopp. Ein anderer sei bei der Festnahme „brutal gewürgt“ worden. Ein 15jähriger schwarzer Amerikaner sei wegen angeblicher Gefangenenbefreiung von zehn Beamten festgenommen worden. Doch dieser Jugendliche, so Orlopp, sei zu diesem Zeitpunkt gar nicht am Ort des Geschehens gewesen, sondern mit ihm zusammen in einem anderen Jugendzentrum.

Nachträglich sieht wohl auch die Polizeipressestelle den Vorfall anders. Gestern hieß es jedenfalls, daß seitens der Jugendlichen „keine schwerwiegenden Widerstandshandlungen“ festgestellt wurden. Barbara Bollwahn

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