: Eine Maus wird zur Erfindung
Vorm Europäischen Patentamt geht es ab heute um die Maus. In einer Anhörung muß das Amt klären, ob Tiere patentiert werden können ■ Von Wolfgang Löhr
Eine Maus macht Geschichte. Am Europäischen Patentamt (EPA) in München wird ab heute entschieden, ob Tiere erfunden werden können. 1992 hatte das EPA der Harvard University in einer umstrittenen Entscheidung das erste Tierpatent der europäischen Geschichte zugesprochen. Jetzt findet die letzte gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung über die Einsprüche gegen dieses Patent statt. Anschließend muß das Amt seine Entscheidung entweder bestätigen oder verwerfen. Doch es geht um mehr: Mit dem abschließenden Urteil über die Krebsmaus beantworten die europäischen Patentwächter zugleich die grundsätzliche Frage, ob Tiere patentierbar sein dürfen.
Mit insgesamt 17 Einwendungen gegen das Tierpatent müssen sich die Münchener Patentwächter beschäftigen. Bedenken haben die hessische Landesregierung angemeldet, der Deutsche Tierschutzbund, Bündnis 90/Die Grünen, die internationale Koordinationsstelle „Keine Patente auf Leben“, Umwelt- und Naturschutzgruppen und zahlreiche Einzelpersonen. Im wesentlichen stützen sich die Patentgegner auf drei Argumente. Sie bezweifeln, daß es sich bei genmanipulierten Tieren und Pflanzen überhaupt um eine Erfindung handelt. Selbst der Weltärztebund monierte in einem Appell die Vergabepraxis der Patentämter: „Genetische Informationen können nur entdeckt, nicht aber erfunden werden.“ Für Entdeckungen dürfen nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) keine Patente vergeben werden.
Zweitens schließt das für das EPA verbindlichen Regelwerk die Patentierung von Tieren und Pflanzen eigentlich aus. Das München Patentamt zog den auch alle verfügbaren juristischen Register, um die begehrten Schutzbriefe dennoch ausstellen zu können. Es seien nicht Tierarten, die unter Patentschutz gestellt werden, sondern höhere taxonomische Klassen und Gruppen, argumentierten die Patentwächter. Im Fall der Onkomaus alle mit den Krebsgenen manipulierten „nichtmenschlichen Säugetiere“, Harvard besäße also auch ein Patent auf eine ähnlich manipulierte Krebskatze.
„Perversion“ nennt das Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete der Grünen. Sie stellt zusätzlich die Frage, ob das EPA „überhaupt die Legitimation hat, so weitreichende Entscheidungen zu fällen“. Schließlich sei mit der Patentierung von Tieren eine gravierende Veränderung bei der Einstellung zu Lebewesen verbunden.
Für den Münchener Tierarzt Christoph Then, der seit Jahren den deutschen Zweig der internationalen Protestkampagne koordiniert, hat das Patent mit der Nummer 0 169 672 „eine Signalwirkung“. Über 300 weitere Patentanträge für genmanipulierte Tiere liegen nach seinen Informationen beim EPA bereits vor: „Kühe, die mehr Milch geben, Schweine und Mastputen, die schneller wachsen.“ Ein „ganzer Zoo gentechnisch veränderter Tiere“ so Then, soll die „Gewinnerwartung der Industrie erfüllen“. Dazu gehören auch Tiere zur Produktion von pharmazeutischen Substanzen, kreiert in den Laboren der Straßburger Gentech-Firma Transgene. Säugetiere mit fehlerhaften Immunsystem will die Stanford University unter Patentschutz stellen. Sie sollen als „lebende Brutmaschine“ von menschlichen Zellen und Organen dienen.
Um ihre Forschungsinvestitionen zu refinanzieren, so das gebetsmühlenartig vorgetragene Argument der Patentbefürworter, brauchen sie den Patenschutz, der ihnen für 20 Jahre die Verwertungsrechte an ihren „Erfindungen“ und allen ihren Nachkommen sichert. Verschwiegen wird dabei gern, daß heute rund dreiviertel der investierten Mittel aus Steuergeldern stammen.
Für den Chemiekonzern DuPont, der die Forschungsarbeiten an der Havard Universität finanzierte und die Vermarktung der Tiere übernommen hat, ist die Krebsmaus schon heute ein Flop. Die Tiere sollten als sogenanntes Tiermodell in der Krebsforschung eingesetzt werden. Ein in das Erbgut eingeschleuste Krebsgen sorgte dafür, daß sich bei den Tieren innerhalb einer kurzer Zeit ein Krebstumor entwickelt. Sie sollten zum Studium der Krebsentwicklung und zum Testen von Antikrebsmitteln dienen. Die Hoffnung des Konzerns auf profitträchtigen Absatz erfüllte sich jedoch nicht. Er blieb auf seinen für 40 US-Dollar angebotenen Tieren sitzen. Mitverantwortlich dafür waren nicht zuletzt die selbst von Wissenschaftlern als unverschämt bezeichneten Bezugsbedingungen von DuPont. Der Chemiekonzern wollte an kommerziell verwertbaren Forschungsergebnissen beteiligt werden. Damit wird auch deutlich, daß es bei dem jetzt anhängigen Patentstreit nur vordergündig um die Krebsmaus geht. „Diese Entscheidung wird maßgeblich die weitere Praxis am Europäischen Patentamt bestimmen“, meint Karin Rennenberg vom „Gen-ethischen Netzwerk“ in Berlin. Das Netzwerk hat einen von zahlreichen Wissenschaftlern unterzeichneten Aufruf gegen die Patentierung gestartet. Bei allen weiteren Patentanträgen wird sich das EPA auf die Krebsmaus-Entscheidung beziehen müssen.
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