Die SPD-Fraktion setzt auf den Verlierer

■ Große Mehrheit für Scharping in der Fraktion. Gysi zur taz: Gegen Koalitionen mit der SPD

Bonn (taz) – Mit großer Mehrheit hat die SPD-Bundestagsfraktion ihrem Chef Rudolf Scharping gestern in geheimer Abstimmung das Vertrauen ausgesprochen. 206 Abgeordnete votierten für den abgesägten Parteichef, nur 17 sprachen ihm ihr Vertrauen ab. Fünf enthielten sich. Scharping hatte sich nach seiner Niederlage auf dem SPD-Parteitag zu einer Vertrauensfrage entschlossen, obwohl er bereits am 24. Oktober als Fraktionschef bestätigt worden war. Gestern erklärte er vor der Fraktion, Ziel sei weiterhin, daß die SPD 1998 den Kanzler stelle. Der neue Parteichef Lafontaine werde ohne jede Einschränkung von der Fraktion unterstützt.

Lafontaine trat gestern erstmals in seiner neuen Funktion als Parteichef vor der Fraktion auf und wurde sehr freundlich aufgenommen. Es galt als offenes Geheimnis, daß das Verhältnis zwischen ihm und der SPD-Bundestagsfraktion nicht das beste ist. „Ab jetzt wird Angriff gespielt“, erklärte er. Partei, Fraktion und SPD-Länder sollten gemeinsam die Regierung aus den Angeln heben. Das Ergebnis „für Rudi“ in der Fraktion nannte Lafontaine „eine gute Basis für weitere Zusammenarbeit“, die „gehässigen Spekulationen den Wind aus den Segeln“ nehme. Scharping nannte Lafontaines Absicht, sich mit PDS-Fraktionschef Gysi zu treffen, „ausgesprochen normal“.

Gysi hat sich unterdessen gegen eine Koalition auch auf Länderebene mit der SPD ausgesprochen. „Ich wünsche mir überhaupt keine Koalition – gegenwärtig. Würde mich heute eine Landtagsfraktion fragen, ob ich ihr rate, in eine Koalition mit der SPD zu gehen, würde ich nein sagen“, sagte Gysi der taz. In Mecklenburg-Vorpommern kann sich Gysi allerdings eine Tolerierung vorstellen: „Sollte die SPD in Mecklenburg aus der Großen Koalition ausscheiden, dann könnte man über eine Duldung oder Tolerierung nachdenken. Dazu rate ich meiner Fraktion.“

Mit Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag, hat sich Lafontaine schon am Montag getroffen. Zwei Stunden sprachen sie über Oppositionsstrategie. „Sie können sehr gut miteinander“, hieß es nach dem Gespräch aus Müllers Umgebung. Gysi-Interview auf Seite 5