: Was spricht gegen einen Boykott Nigerias?
■ betr.: „Die Flüchtigkeit der Mode“ von Dominic Johnson, taz vom 17. 11. 95
In einem stimme ich völlig mit Dir überein: Die Nigeria-Boykott- Diskussion ist eine Modeerscheinung, deren Hochschwappen zum jetzigen Zeitpunkt kaum rational zu erklären ist. Aber was heißt das schon? Viele Auseinandersetzungen mit internationalen Themen haben doch auch nicht anders begonnen. Es muß jetzt darauf ankommen, die Diskussion über die Zustände in Nigeria möglichst lange am Kochen zu halten.
Ansonsten halte ich schon den Ausgangspunkt Deines Beitrags für fragwürdig. Der Vergleich mit Südafrika hinkt an so vielen Stellen, daß er kaum zu vertreten ist. Es stimmt eben nicht, daß Nigeria und Südafrika „vieles gemeinsam“ haben. Sie haben fast gar nichts gemeinsam. Nigeria ist ein postkolonialer Vielvölkerstaat, dessen politisches Auf und Ab seit der Unabhängigkeit von der Konkurrenz um die Macht zwischen den drei großen Völkern Haussa-Fulani, Yoruba und Ibo geprägt ist. Dazwischen versuchen sich über 200 sogenannte Minderheitenvölker zu behaupten. Bis heute ist es nicht gelungen, dieser Tatsache mit einem geeigneten politischen System Rechnung zu tragen. Das heutige Südafrika dagegen ist hervorgegangen aus einem siegreichen Kampf aller schwarzen Völker des Landes gegen ein rassistisches Minderheitenregime. Diese gemeinsame historische Erfahrung bietet – trotz des Gegensatzes zwischen dem konservativen Teil der Zulus und den Xhosa – ganz andere Grundlagen für die Zukunft. Wo sind da die Gemeinsamkeiten?
Und was spricht gegen einen Boykott Nigerias? Eine Antwort auf diese Frage bleibst Du schuldig. In Südafrika ist der Wandel von innen gekommen? Habe ich da irgendwas verpaßt? Fast alle Analysen, die ich seit Ende der 80er Jahre gelesen habe, wiesen darauf hin, daß es gerade auch die zunehmende ökonomische Isolation war, die den Druck innerhalb der weißen Minderheit erhöht hat, sich auf einen Wandel einzulassen. Natürlich, der Goldhandel war nicht betroffen. Aber doch nicht, weil wir KritikerInnen der Apartheid ihn nicht für sinnvoll gehalten haben. Genau wie beim nigerianischen Erdöl hätte ein Goldboykott Südafrikas – zumal zu Zeiten des Kalten Krieges – den Industrieländern ernsthaft finanziell weh getan. Es war das politische und ökonomische Establishment hier, das an so einem Boykott ein noch geringeres Interesse hatte als an den anderen Bereichen des Handelsboykotts.
Außerdem fehlen die Mittel, um dem Regime in Nigeria die Luft abzudrehen, schreibst Du. Was die Regierung Abacha an der Macht hält, ist der Zugriff aufs Öl. Wenn das Regime hier geschwächt wird, könnte das vielleicht denjenigen innerhalb des Militärs Handlungsspielräume eröffnen, die sehen, daß Nigeria unter Abacha auf den Abgrund zusteuert.
Eines aber sollte man bei der Boykott-Diskussion hier auf keinen Fall vergessen: Auf der politischen Ebene wird sie mit einer gehörigen Portion Heuchelei geführt. Es scheint, als ob Nigeria für einige nun als ein Ventil dafür herhalten muß, daß man sich im Falle Chinas und anderer wichtiger Handelspartner ähnliche Debatten schon längst nicht mehr erlaubt. Als Prügelknabe ist Afrika immer noch gut genug. Wenn es aber gilt, demokratische Prozesse südlich des Mittelmeeres zu unterstützen, herrscht meist desinteressiertes Schweigen. Thomas Mösch, Mitglied
im Vorstand der Initiative
„Pro Afrika“, Hamburg
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