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Der Tod steigt langsam aus dem Boden

Unsere Wälder sterben an Überdüngung durch Stickstoff. Gräser wachsen heute besser als je zuvor und verdrängen die Jungbäume. Schuld daran sind vor allem der Autoverkehr und die konventionelle Landwirtschaft  ■ Von Annette Jensen

Mitten im Wald steht ein Glasdach. Bis zu sechzig Jahre alte Fichten wachsen hindurch. Die Erde darunter bleibt trocken, während die Baumgipfel dem strömenden Regen ausgesetzt sind. „Wir fangen das Wasser auf und reinigen es so, daß es einem vorindustriellen Zustand entspricht. Anschließend verregnen wir es dann unter dem Dach“, erläutert Forstwissenschaftler Kai Blanck vom Forschungszentrum Waldökosysteme der Uni Göttingen. Das Ergebnis des Versuchs im Solling ist deutlich: Obwohl die Bäume erst seit vier Jahren unter dem Regenschirm wachsen, zeigen sie in einzelnen Meßgrößen deutlich bessere Werte als ihre Kollegen von nebenan. Ihre Feinwurzeln haben um 40 Prozent zugenommen. Die Waldwirtschaftler sind optimistisch, daß sich in einigen Jahren die Gesundung auch an den Nadeln nachweisen läßt.

Im Eggegebirge, keine hundert Kilometer weiter westlich, haben Forscher vom nordrhein-westfälischen Landesumweltamt vor ein paar Jahren ein anderes Experiment durchgeführt. Auch sie wählten Fichten als Probanden. Junge Bäume wurden in durchsichtige, nach oben offene Plastiktonnen gepflanzt, aus denen permanent schadstofffreie Luft ausströmte. Temperatur, Licht- und Luftfeuchtigkeit teilten die Hölzer weiter mit ihren Artgenossen. Erstaunt stellten die Wissenschaftler nach fünf Jahren fest, daß die Pflanzen in der dreckigen Atmosphäre kräftiger waren als die Probanden in der Reinluft. „Im Zentrum der Forschung steht heute wieder der Boden“, hat Heinz- Detlef Gregor vom Umweltbundesamt (UBA) festgestellt. Denn die Wälder siechen weiter dahin, obwohl die Schwefelbelastung der Luft in den letzten Jahren durch den Zusammenbruch der DDR- Industrie und den massiven Einsatz von Rauchgasfiltern stark zurückgegangen ist. Niedrige Schwefelkonzentrationen in der Atmosphäre reichen jedoch offenbar für eine Genesung nicht aus, wie man noch vor ein paar Jahren hoffte.

„Die Bäume kämmen die Schadstoffe aus der Luft aus. Beim nächsten Regen gelangen sie dann auf den Boden“, erklärt Blanck. Im niederschlagsreichen Solling ist deshalb die Schadstoffkonzentration in den Böden viel höher, als die Luftwerte vermuten lassen. Die Umweltschutzorganisation Robin Wood geht davon aus, daß die Säurebelastung des Bodens unter Fichtenwäldern heute 63mal so hoch ist wie vor 150 Jahren.

Hauptgrund für die fortschreitende Versauerung der Böden ist inzwischen der Stickstoff, der aus Auspuffrohren und Viehställen in die Atmosphäre entweicht. Auf jedes Hektar Land gehen jährlich etwa 60 Kilogramm nieder; in Norddeutschland sind es gelegentlich sogar 100 Kilo. Verkraften können die Wälder jedoch allenfalls ein Fünftel dieser Menge – bei höheren Konzentrationen werden die lebensnotwendigen Pilze an den Wurzeln der Bäume geschädigt und Schwermetalle sowie Aluminium freigesetzt. Die Baumwurzeln altern vorzeitig und saugen die Nährstoffe nur träge auf.

Dabei wirkt Stickstoff zunächst sogar wachstumsfördernd. „Aber das Zeug ist wie zuviel Schokolade für Menschen: Die Leute werden dick. Daß sie deshalb aber auch besonders gesund sind, wird wohl niemand behaupten“, sagt UBA- Waldfachmann Gregor. Das Hauptproblem der Bäume mit dem Stickstoff besteht darin, daß ihnen die anderen lebensnotwendigen Nährstoffe Kalium, Magnesium und Calcium nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Die Pflanzen bekommen deshalb Mangelerscheinungen. Außerdem bilden Bäume auf stickstoffreichen Böden weniger Wurzeln aus, so daß sie nicht einmal mehr an die vorhandenen Nährstoffvorräte herankommen und Stürme sie leichter umwerfen können als früher. Schließlich ziehen die aufgrund der Überdüngung kohlenhydratreichen Blätter viele Schädlinge magisch an, so daß der Baum seine eigenen Schädlinge züchtet.

„Das Horrorszenario einer vegetationslosen Bundesrepublik ist aber völlig verfehlt“, wiegelt Georg Krause vom Landesumweltamt in Nordrhein-Westfalen ab. „Die Biomasse bleibt gleich oder nimmt sogar zu.“ Auf karge Böden angewiesene Pflanzen werden verschwinden, während sich Brennesseln und Gräser massiv ausbreiten. Ihnen kommen nicht nur die hohen Stickstoffkonzentrationen zupaß, sondern auch die ausgedünnten Baumkronen, die genügend Licht zum Boden durchlassen. „Die Gesellschaft muß sich halt überlegen, ob sie die Lüneburger Heide von Gras überwuchern und bestimmte Arten aussterben lassen will“, meint Krause.

Weitaus dramatischer beschreibt Volker Schulte, Geschäftsführer vom deutschen Forstwirtschaftsrat, die Situation. „In vielen Wäldern wächst schon heute nichts mehr von alleine – außer Gras.“ Das saugt nicht nur allen Niederschlag auf, sondern erwürgt auch die Sprößlinge. Gerade erst hat Schulte einen Kiefernbestand in Sachsen-Anhalt besucht, wo die Förster sich keinen anderen Rat wußten, als Wachstumshemmer gegen den Grasfilz zu spritzen. „Das Gras ist wie eine Hydra – es läßt sich nicht ausreißen,“ erläutert Schulte.

20.000 Mark pro Hektar hat die Verjüngung dieses Waldes die Steuerzahler gekostet. Insgesamt 160 Millionen Mark im Jahr stehen für derartige Maßnahmen zur Verfügung. „Das soll die Gemüter der Waldbesitzer beruhigen. Wir aber verlangen, daß die Verursacher uns entschädigen.“

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