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Die Krankheit wird ignoriert

Heute berät erstmals die Gesundheitsministerkonferenz über Ausmaß und Folgen des Hepatitis-C-Skandals in der DDR. Nur ganz wenige der infizierten Frauen erhielten bisher eine Entschädigung  ■ Aus Dresden Detlev Krell

Sabine Schley ist deprimiert. Seit Jahren leidet die Chemnitzerin an Gelenkschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten, und den Ärzten fällt keine andere Diagnose ein als immer nur „Störungen des vegetativen Nervensystems“. Obwohl amtlich festgestellt wurde, daß ihre Blutwerte nicht in Ordnung sind, weigern sich die Ärzte zuzugeben, daß sie mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sein könnte. „Diese Ignoranz“, sagt sie, „deprimiert unendlich.“

Sabine Schley ist eine von 6.773 Frauen, die Opfer des größten Arzneimittelskandals der DDR wurden. Die Bundesregierung, schließlich Rechtsnachfolger der DDR, drückte sich jahrelang, das Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Ab heute berät in Potsdam die Gesundheitsministerkonferenz über Vorschläge einer auf Initiative Brandenburgs eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Brandenburg schlägt jetzt ein Modell vor, daß sich an den Hilfsfonds für Opfer HIV-verseuchter Blutpräparate orientiert. Auch Sachsen favorisiert diese Idee, lehnt jedoch einen „Automatismus“ bei der Entschädigung ab. Ob die anderen Bundesländer mitziehen, ist bislang unklar.

1978/79 erhielten Tausende von Frauen und Neugeborenen in der DDR eine „Anti-D-Impfprophylaxe“. Die umstrittene Behandlung sollte Schäden vorbeugen, die durch Rhesus-Unverträglichkeit zwischen Mutter und Kind drohten. Doch die Blutpräparate waren infiziert. Ab November 1978 erkrankten sehr viele mit Anti-D behandelte Frauen an Gelbsucht. Daraufhin veranlaßte das Gesundheitsministerium der DDR einen Siebtest: Die erkrankten Frauen wurden in Kliniken eingewiesen, unter Quarantäne behandelt und als Impfgeschädigte anerkannt. Sie erhielten neben den Versicherungsleistungen einmalig 200 DDR-Mark sowie 150 DDR-Mark für jede Woche im Krankenhaus. Frauen, bei denen sich keine Krankheitssymptome zeigten, galten ohne weitere Untersuchung als gesund.

Erst am 14. März 1979 wurde die letzte kontaminierte Charge des Impfpräparates zurückgerufen und gesperrt. Bis November 1979 waren 2.867 Frauen, 92 Säuglinge und 17 „Kontaktpersonen“ akut erkrankt. Zu diesem Zeitpunkt lief in Halle/Saale ein Geheimprozeß gegen den Hersteller des Präparates, das Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen.

Nur 805 Frauen, vorwiegend in Sachsen, erhalten heute Kleinstrenten auf Grundlage des Bundesseuchengesetzes. Das sind monatlich 167 Mark bei dreißigprozentiger Minderung der Erwerbsfähigkeit, 226 Mark bei 40 Prozent. Nur bei 11 Frauen wurde eine Erwerbsminderung von über 50 Prozent anerkannt. Nach Auffassung des SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Schmidbauer ist dies eine „Billiglösung“. Die Bundesregierung hingegen hält diese Regelung – so die Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion – für „ausreichend“.

Empört über dieses Aufrechnen ist ebenfalls Marion Beyer, Sprecherin des kürzlich gegründeten Bundesverbands der Hepatitis-C- Geschädigten. „Wenn mir eine Hand fehlt, sind das wohl auch 30 Prozent. Aber wir sterben an unserer Krankheit!“ Der Verband fordert für die Frauen eine Sozialversorgung, die es ihnen ermöglicht, ohne Zukunftsangst mit der Krankheit zu leben. „Ich will, daß man uns ernst nimmt!“ Sie will, daß die erkrankten Frauen genauso ernst genommen werden wie die Kriegsgeschädigten und die Opfer von Gewalt. „Die Krankheit wird verharmlost“, sagt sie. Marion Beyer, die den Impfskandal im Frühjahr an die Öffentlichkeit gebracht hat, fordert die Ärzte auf, sich endlich ernsthaft mit Hepatitis-C, einer Volksseuche mit oft tödlichem Ausgang, zu befassen. Erst seit 1989 ist die Krankheit diagnostizierbar, zuvor wurde sie wegen ihrer Analogie zur Gelbsucht als „Non-A-Non-B- Hepatitis“ bezeichnet.

Bis heute sind die möglichen Übertragungswege immer noch nicht ausreichend erforscht. Eine Konsequenz sind auch irrationale Ängste. In Cottbus mußte eine Kosmetikerin ihren Salon schließen. Nachdem die Kundinnen von der Erkrankung der Frau erfahren hatten, blieben sie fern. „Mich rufen Ärzte an aus Stuttgart und Frankfurt, ob ich ihnen nicht Unterlagen zusenden könne; sie wüßten nichts über die Hepatitis-C- Infektion“, erzählte sie der taz.

HIV-positive Frauen in ihrer Selbsthilfegruppe seien mit Chargen gespritzt worden, die in der vorliegenden DDR-Statistik nicht als kontaminiert auftauchen. „Diese Frauen dürften gar nicht krank sein.“ Sie wisse auch von einer Frau, die am 11. April 1979 ihren Impfstoff aus einer verseuchten Charge erhalten habe, die den DDR-Unterlagen zufolge bis 14. März schon zurückgezogen worden war. „Die Dunkelziffer“, meint Marion Beyer, „liegt viel höher, als die Bundesregierung bisher annimmt. Niemand weiß, wie viele Frauen wegen Störung des vegetativen Nervensystems behandelt werden, obwohl sie an Hepatitis-C erkrankt sind.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Schmidbauer fordert nun die Bundesregierung auf, „zuverlässig die erkrankten Frauen zu ermitteln“ und Angaben über Ausmaß und Folgen der Krankheit zu erstellen. Dazu müßten sich auch die Partner und Kinder der Erkrankten untersuchen lassen. Auch darüber wollen die Gesundheitsminister der Länder heute in Potsdam reden.

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