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Kettenabschiebungen!

Harte Debatte über die Drittstaatenregelung vor dem Bundesverfassungsgericht  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Genügt das Vertrauen oder brauchen wir eine Kontrolle? Diese klassische Frage prägte an den ersten beiden Tagen die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über das 1993 eingeführte neue Asylrecht. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warb gestern in Karlsruhe um Vertrauen in das geltende Konzept der sicheren Drittstaaten. „Wir haben hier eine Vertrauensordnung, in der wir davon ausgehen können, daß sich unsere Nachbarstaaten an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen halten.“

Kanther nahm vor allem Bezug auf die europäischen Staaten, die das Schengener und Dubliner Abkommen unterzeichnet haben. Beide Abkommen sollen sicherstellen, daß ein Flüchtling in zumindest einem europäischen Staat ein Asylverfahren erhält. Die Kehrseite der Medaille: die beteiligten Staaten haben das Abkommen zum Anlaß genommen, eigene Drittstaatenregelungen nach deutschem Muster einzuführen. Mit zahlreichen osteuropäischen Staaten bestehen Rückübernahmeabkommen. „Dieses System wäre nicht mehr möglich, wenn jeder Flüchtling behauptet, daß ein Staat, den wir als sicheren Drittstaat qualifizieren, doch nicht sicher ist“, erklärte Kanther.

Eine solche Einzelfallprüfung bei Vorbringen „substantieller Bedenken“ hatte zuvor jedoch der vom Gericht bestellte Sachverständige Walter Kälin, Völkerrechtsprofessor aus Bern, als „völkerrechtliche Verpflichtung“ bezeichnet. Er bezog sich dabei auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). „Nur Deutschland und vielleicht Finnland“ schließen nach der Analyse von Werner Kälin eine solche Einzelfallprüfung aus und verhalten sich somit völkerrechtswidrig.

Diese Sicht wurde auch von Judith Kumin, der deutschen Vertreterin des UNO-Flüchtlingskommissars, unterstützt. Hier widersprach Kay Hailbronner, der Rechtsvertreter der Bundesregieung, vehement: „Der Begriff des sicheren Drittstaates kann, wie andere Begriffe der Konvention auch, von den Unterzeichner-Staaten unterschiedlich ausgelegt werden, das haben die Unterzeichner- Staaten so gewollt.“ An die Adresse von Judith Kumin gewandt ergänzte Hailbronner: „Auch die Auslegungen des UNHCR-Exekutivkomitees sind völkerrechtlich nicht verbindlich.“

Erst am gestrigen Nachmittag begann die Diskussion der Situation in einzelnen Drittstaaten. Im Mittelpunkt standen Ungarn und Österreich. Unmißverständlich stellte die UNHCR-Sachverständige Judith Kumin dabei klar: „In Ungarn existiert derzeit kein adäquater Schutz für Flüchtlinge.“ Sie monierte vor allem, daß Ungarn die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit Wirkung für europäische Flüchtlinge unterzeichnet. Trotz dieses Territorialvorbehalts gilt Ungarn für Österreich generell als sicherer Drittstaat. Hier drohen Kettenabschiebungen in den Verfolgerstaat, die Kay Hailbronner jedoch als bloßes „Literaturproblem“ bezeichnete. Judith Kumin reagierte empört: „Kettenabschiebungen sind alltägliche Praxis, auch wenn sie selten im Licht der Öffentlichkeit stattfinden.“

Die Verhandlung wurde gestern um einen Tag verlängert und wird wohl heute zu Ende gehen. Mit einem Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen.

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