: Kreuzigungen mit doppelten Querbalken
Mit der neuesten Produktion, „Der Prophet Ilja“, gehen Andrej Woron und sein Teatr Kreatur neue Wege ■ Von Petra Kohse
Im Foyer des Theaters am Ufer hängen Gekreuzigte an der Wand. Eine graue Plüschkatze zum Beispiel. Oder ein orangefarbener Stoffhase. Sein Kreuz hat zwei Querbalken. Eines für die Vorderpfoten und eines für die Ohren. Objekte der endart-Galerie. Drinnen auf der Bühne geht es ebenfalls um Kreuzigung, und es gibt auch Objekte. Nicht so viele wie in früheren Inszenierungen des 43jährigen Polen Andrej Woron, aber immerhin eine Vogelscheuche. Und den Karren eines jüdischen Händlers, der an ein kaputtes Motorrad montiert ist. Klappen nach allen Seiten und Krimskrams drin: Ketten, Parfüm und Bilder. Vom Zaren, von Karl Marx, Lenin und Stalin. Und die Muttergottes.
„Der Prophet Ilja“, Worons neueste Produktion mit dem Teatr Kreatur, basiert auf einer Legende. Tadeusz Slobodzianek hat sie dramatisiert, ein 40jähriger Sibire, der als Dramaturg in Warschau lebt. Ilja wurde 1864 in Belorußland geboren. Er hatte göttliche Erscheinungen und sah es als seinen Auftrag an, eine Kirche zu errichten. Es wurde ihm nicht leichtgemacht. Er erlebte die Ermordung des Zaren, erlebte die Revolution, Lenin und Stalin. Iljas Anhänger wollten ihn kreuzigen, um an ihm das Schicksal eines zweiten Jesu zu erfüllen. Aus verständlichen Gründen widersetzte sich der Prophet.
In vierzehn Szenen erzählt Slobodzianek nun von dieser mißlungenen Kreuzigung samt möglicher Vorgeschichte. Es ist ein pervertiertes Mysterienspiel. Die Wunder, die Ilja wirkt, sind keine Wunder. Der Blinde kann doch nicht sehen, und die ordinäre Olga, die zu Ilja geschleppt wird, bekehrt sich nur deswegen zur Jungfrau, weil sie nächtens allzuoft vergeblich auf eine Begattung durch den Teufel gehofft hat.
So burlesk hat man das Teatr Kreatur noch nie erlebt. Kaum Maske, schlicht-bäuerliche Kostüme, kein trippelnder Gang mit schiefgelegtem Kopf. Dafür jede Menge Text. Das schafft das multinationale Ensemble mal gerade so. Auch scheinen die Kreaturen nicht mehr von einem Weltenlenker ferngesteuert zu sein, sondern sie handeln selbstbestimmt.
Man sieht die Bauern, denen durch den jüdischen Händler Rotschild die Kunde vom Propheten überbracht wird. Harvey Friedman hüpft, windet und haspelt eine Händlercharge. Schwarz gekleidet, wie er ist, gilt er den Bauern als Luzifer. Sie jagen ihn davon und schließen sich der Prozession zum Propheten an. Obwohl Erntezeit ist. Um den Hals tragen sie hübsche Heiligentafeln.
Neu im Teatr Kreatur ist Adolfo Assor, den man aus seinem winzigen Garn-Theater kennt und der hier den Ilja spielt. Ilja ist ein falscher Prophet, das sieht man gleich. Er sitzt an einem Tisch und läßt sich von drei Frauen bedienen. Später hockt er auf dem Wannenrand, als die bekehrte Olga (Karin Krawcyk) gewaschen wird. Noch später blickt er mit ihr gemeinsam aus dem Schlafzimmerfenster der mit einem groben Bretterverschlag angedeuteten Hütte.
Richtig spannend wird die Geschichte in Worons Inszenierung eigentlich erst, als die kleine Gemeinde zur Kreuzigung schreiten will. Die Bauern schleppen ein riesiges Holzkreuz herbei (mit doppeltem Querbalken!) und probieren erst einmal. Einer muß den Pilatus spielen, einer den Soldaten, einer den Herodes. Ilja/Jesus wird von der Vogelscheuche dargestellt.
Wie Holger Madin oder Peter Lewan ihre Rollen steigern und gleichzeitig Dörfler bleiben, deren Laienspiel von den Umstehenden bekichert wird, ist Höhepunkt des Abends. Sie zeigen doppelte Brüche, und die Vogelscheuche ist plötzlich keine Vogelscheuche mehr. Bald peitschen alle auf dieses Bündel Stroh am Stiel ein. Weil die Ernte so kümmerlich ist und die Polen die Kirchen zerstört haben. Dann greifen sie, hysterisiert, den vorbeifahrenden Rotschild und wollen ihn ans Kreuz nageln, doch er entkommt. Die Rettung Iljas ist einige Szenen später dann Olga zu verdanken, die die Judasbrut mit einem blinkenden, tragbaren Marienaltar in den Händen zur Ordnung ruft. Alle werden von Ilja erst in die Hölle, dann aber doch in den Himmel geschickt. Am Ende ißt man gemeinsam Suppe.
Eine Geschichte darüber, wie Gewalt entsteht, und ein Märchen, wie alles gut enden kann. Perfide, archaisch, bigott. Gespielt mit viel Folklore, geschwungenen Kreuzen und allzuviel Gesang: Christliches, was trotz teilweise perverser Texte immerzu wie Weihnachtslied klingt. Eine Heiligenklamotte.
Nach acht Jahren Berlin geht der Künstler und Regisseur Andrej Woron neue Wege. Sicher noch breitenwirksamer als zuvor, doch weniger zauberhaft. Und im Grunde noch reichlich unentschieden: Zu schematisch für Menschen, zu unkonturiert für Kreaturen, bleibt das Ganze in einer Art Puppenstadl stecken. Für das Teatr Kreatur indes ist es schade, daß das Theater am Ufer auch nach dem Umbau nur knapp hundert Zuschauer faßt. Wie leicht könnten die im Programmheft ausgeführten Finanzprobleme gemildert werden. „Der Prophet Ilja“ ist eine Massenbelustigung. So aber nur für jeweils wenige.
Bis 23.12., Do.–So., 19.30 Uhr, Theater am Ufer, Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg
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