: Impfstoff aus „nackter“ Nukleinsäure
In den USA sind die ersten Testpersonen bereits mit dem neuen Impfstoff behandelt worden. Für die ForscherInnen ist es die erfolgversprechendste Methode im Kampf gegen Aids ■ Von Wolfgang Löhr
Die ersten Versuche mit dem neuen Aids-Impfstoff haben kaum begonnen, da werden schon die ersten Vorschußlorbeeren verteilt. Sogar von einer „neuen Epoche der Impfstoffentwicklung“ wird bereits gesprochen. Bei der Impfung mit „nackter DNA“ werden zur Aktivierung des Immunsystems nicht mehr wie bisher abgeschwächte oder tote Viren dem Patienten verabreicht, sondern einzelne Gene des Krankheitserregers. „Der Mensch stellt den Impfstoff selber her“, beschreibt die Virologin Karin Mölling von der Zürcher Universität mit wenigen Worten das Prinzip der neuen Methode, mit der man sich einen wirksamen Schutz nicht nur gegen den HI-Virus erhofft.
Ein Zufall brachte die WissenschaftlerInnen auf die Spur, daß auch isolierte Erbsubstanz in den Körperzellen biologisch aktiv sein kann. Der US-Forscher Wollf und seine KollegInnen schauten überrascht auf, als sie 1990 bei Experimenten mit nackter DNA feststellten, daß die Erbsubstanz entgegen der Erwartung nicht in den Körperzellen von Mäusen abgebaut wird, sondern ganz im Gegenteil die in ihr gespeicherte Information in Eiweiße umgesetzt wird. Der Pharmakonzern Merck-Sharp griff die Idee auf und entwickelte ein völlig neues Konzept für Impfstoffe. Versuche mit Grippe-Viren folgten, bis dann auch Mölling, die ehemalige Mitarbeiterin des Berliner Max-Planck-Instituts, zusammen mit David Weiner von der Pennsylvania University im US- Bundesstaat Philadelphia die Entwicklung eines Aids-Impfstoffes in Angriff nahm. Der DNA- Impfstoff durfte einerseits nur die genetischen Informationen enthalten, die eine gesundheitliche Gefährdung der Patienten ausschlossen, andererseits mußte er aber in der Lage sein, die Körperzellen zur Produktion von Antikörpern anzuregen, die gegen die Hülle des HIV gerichtet sind. „Übrig blieben Gene, die für die beiden Hüllproteine gp120 und gp141 kodieren, sowie ein Hilfsgen, daß die Expression steigert“, berichtet die Zürcher Foscherin im Deutschen Ärzteblatt. Alle anderen Teile des HIV-Genoms seien entfernt. Damit sei sichergestellt, daß das aus 10.000 Basenpaaren bestehende Genkonstrukt nicht selbst zum Krankheitsauslöser wird, daß die Gensegmente sich nicht selbst vermehren oder sogar fest in die Chromosomen der Patienten eingebaut werden.
Im Juni erhielt die erste Patientin an der University of Pennsylvania im US-Bundesstaat Philadelphia den neuartigen Impfstoff, der von der Zürcher Professorin mitentwickelt worden ist. 15 weitere Patienten stehen in den USA noch auf der Liste. Sie sollen über den Zeitraum eines Jahres mit verschiedenen Dosierungen behandelt werden. Und in wenigen Tagen wird an der Universitätsklinik in Zürich eine zweite Versuchsreihe gestartet. Im Gespräch sind auch Impfungen am Universitätsklinikum Rudolf Virchow in Berlin. Doch dort zeigte man sich verschlossen. Vom Leiter der Aids- Tagesklinik, Professor Hans Dieter Pohle, war keine Auskunft zu erhalten.
Noch wissen die ForscherInnen nicht, ob sich ihre Hoffnungen erfüllen. Für Ulrich Marcus vom Aids-Zentrum des Robert-Koch- Instituts in Berlin ist der neue Impfstoff jedoch die derzeit „erfolgversprechendste Entwicklung“ im Kampf gegen Aids. Bisher gebe es auch noch keine Hinweise auf unvorhergesehene Nebenwirkungen, meint Marcus optimistisch. Die vorab durchgeführten Tierexperimente verliefen zwar erfolgreich, doch da die Tiere nicht an Aids erkranken und sterben, lassen sich die Ergebnisse nur beschränkt auf den Menschen übertragen. Man behalf sich damit, die Wirkung der Impfung an der Vermehrung von Immunzellen zu testen „statt an der Überlebensrate“, berichtet die Aidsforscherin Mölling. In der ersten Versuchsphase muß daher erst einmal überprüft werden, ob die Impfung keine unerwarteten Nebenwirkungen hat. Obwohl die US- Arzneimittelbehörde FDA dazu bereit war, gesunde freiwillige Testpersonen impfen zu lassen, hat man sich aus Sicherheitsgründen dazu entschlossen, die Versuche nur mit HIV-Infizierten durchzuführen, bei denen noch keine Krankheitssymptome aufgetreten sind und die noch über ein intaktes Immunsystem verfügen. Die größte Befürchtung besteht darin, daß die Genfragmente in das Genom der PatientInnen eingebaut oder sogar von den Keimbahnzellen aufgenommen werden. „Es könnte auf diese Weise Krebs enstehen oder die DNA vererbt werden“, erklärt Mölling die Gefahren. Das kleine US-Unternehmen Apollon, das mit finanzieller Hilfe der US-Gesundheitsbehörde, des National Institute of Health (NIH), die Versuchsreihen durchführt, hat extra ein Nachweisverfahren für den Verbleib der DNA entwickelt. Eine einzige DNA-Kopie kann damit noch in einer Milliarde Körperzellen nachgewiesen werden. Der Mensch besteht jedoch aus 1014 Zellen, so daß nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, daß eine der veränderten Körperzellen übersehen wird.
Befürchtungen, daß die Versuche bei uns an einem bürokratischen Genehmigungsverfahren scheitern, brauchen die ForscherInnen nicht zu haben. Vom deutschen Gentechnikgesetz wird das Verfahren nicht erfaßt, denn „nackte DNA“ fällt ausdrücklich nicht unter den Regelungsbereich des Gesetzes. Einzig die Erlaubnis der lokalen Ethikkommission ist in Deutschland für derartige Tests vorgeschrieben. Sollten die Versuche erfolgreich verlaufen, könnnte der Entwicklung eines allgemein verfügbaren Impfstoffes nur noch das Patentrecht im Wege stehen. Die Pharmaunternehmen Merck- Sharp und Vical haben für die Impfung mit nackter DNA einen Antrag auf Patentschutz gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen