piwik no script img

Offener Vollzug im individuellen Knast

■ Die „Zellen“ des 1993 verstorbenen Künstlers Absalon in der Wiener Akademie

Irgend etwas stimmt nicht mit den beiden weißgetünchten Containern in der lichten Eingangshalle der Wiener Akademie der Künste. Sie ähneln den Minimal- Objekten der frühen siebziger Jahre: Der Holzzylinder hat kaum 2,5 Meter Durchmesser, das igluartige Pendant ist knapp vier Meter lang. Eine Tafel warnt: Man könnte drinnen das steile Holztreppchen herunterfallen, mit dem der französische Künstler Absalon das obere und untere Stockwerk verbunden hat.

Die „Zellen“ des im Dezember 1993 in Paris an Aids verstorbenen Bildhauers sind von einer beängstigenden Totalität, die jeder humanen Architektur widerspricht. Wie weiße Sarkophage ragen sie empor, wirken unnahbar und kalt. Zugleich bergen sie einen kompletten Haushalt: Küche, Schreibnische, Regale, Schlafgelegenheit und Bad. Wer aber wollte ernsthaft auf insgesamt 8,5m2 wohnen?

Absalon hat seine Gebäude wie mentale Räume betrachtet. „Als Spiegel meines Inneren werden sie mir als Behausung vertraut sein“, beschrieb er das Projekt noch kurz vor seinem Tod. Geplant waren sechs solcher Container, die in verschiedenen Städten aufgestellt werden sollten. Objekte im öffentlichen Raum, die allein dem Künstler zugänglich und während seiner Abwesenheit konstruktivistische Skulpturen im Geiste von Malewitsch gewesen wären. Schon die Prototypen verdeutlichen, wie schmal die Kluft zwischen Kunst und Leben in den 90ern geworden ist – und wie letztlich unvereinbar diese beiden Bereiche sind.

Doch die Zellen illustrieren nicht nur, sie sind tatsächlich bewohnbar. Dem Denken von Deleuze und Guattari vergleichbar, gab es für Absalon keine Trennung zwischen innen und außen, alle Spannung verläuft nurmehr entlang der Oberflächen. Idee und Wirklichkeit begegnen sich auf unzähligen Plateaus. Selten ist der Konflikt so reduziert und doch umfassend dargestellt worden, in einer Welt, „in der die Dinge standardisiert sind“, so Absalon.

Seit 1988 hatte er an der Entwicklung seiner Wohn-Objekte gearbeitet, erst mit Modellen in der Größe von Bauklötzchen, dann für Installationen im Centre Pompidou und bei der letzten documenta. Immer wurden klare Vorgaben gemacht, jeder Ausstellungsraum mußte in das Gesamtkonzept Absalons passen. Nur so war es möglich, das „perfekte Universum“ zu gestalten, das Absalon sich wünschte: „Ich strebe danach, ein unfehlbares System zu schaffen, auch wenn es in gewisser Weise einem Gefängnis gleicht.“

In Wien reichen zwei „Zellen“, um den Schrecken zu verdeutlichen, der in diesem paradoxen Denken liegt: offener Vollzug in einem individuellen Knast. Selbst aus dem Video „Bataille“ (1993) tritt einem das Ergebnis mit Wucht entgegen. Fast eine Stunde kniet Absalon auf dem Boden und kämpft ohnmächtig gegen Luft, bis die Schläge ins Leere mit der Zeit einen imaginären Käfig markieren. Harald Fricke

Absalon, bis 3. 12., Akademie der Künste, Wien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen