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Clintons vitale Interessen in Bosnien

■ In einer "Rede an die Nation" wirbt der US-Präsident dafür, US-Soldaten zur Durchsetzung des Dayton-Abkommens auf den Balkan zu schicken. Sein republikanischer Gegner Bob Dole applaudiert

Wahington (wps/taz) – Er sprach nicht nur als Präsident der Vereinigten Staaten, der er ja auch ist, sondern eher noch als Oberkommandierender der US-amerikanischen Streitkräfte. Er bat die US-amerikanische Fernsehnation nicht um Erlaubnis zur Truppenentsendung nach Bosnien, sondern erläuterte schlicht den längst beschlossenen Militäreinsatz. Mit seiner „Rede an die Nation“ zur Beteiligung von US-Truppen an der Durchsetzung des Bosnien-Abkommens von Dayton legte Bill Clinton genau die Führungskraft an den Tag, die man von einem Staatschef der USA ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl erwartet.

Beim geplanten Einsatz von bis zu 23.000 US-Soldaten in Bosnien gehe es darum, „unsere Grundwerte zu verteidigen und unseren grundlegenden Interessen zu dienen“, sagte Clinton, der Bosnien lange Zeit kaum als ureigene Interessensphäre behandelt hatte. Nun aber „haben wir eine Chance, daß wir das Töten unschuldiger Zivilisten, besonders von Kindern, beenden helfen und zugleich Stabilität nach Zentraleuropa tragen, eine für unsere nationalen Interessen vitale Weltregion“.

Das Somalia-Syndrom – die Angst vor einer Wiederholung der fehlgeschlagenen US-geführten „humanitären“ Militärintervention in Somalia 1992–93, bei der viele US-Soldaten starben – sitzt tief. In Bosnien soll alles anders werden: US-Truppen sollen ein Jahr dort bleiben und nicht länger, und ihre Mission, weiß der Präsident, wird funktionieren, „weil sie klar und begrenzt ist, und unsere Truppen sind stark und gut vorbereitet“. Zugleich machte Clinton klar: „Keine Stationierung amerikanischer Truppen ist ohne Risiko, und bei dieser hier könnte es Opfer geben.“

Wie es von einer Rede ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl zu erwarten ist, hat Clintons Ansprache die Republikaner gespalten. Die kontrollieren beide Häuser des Kongresses, und einige von ihnen sind der Meinung, sie könnten den Bosnien-Einsatz per Kongreßvotum verhindern. Die beiden Parlamentskammern haben Clinton bereits gebeten, sie vor der Truppenentsendung um Erlaubnis zu fragen, und vor zehn Tagen beschloß das Repräsentantenhaus, daß keine Bundesmittel für den Bosnien-Einsatz ausgegeben werden dürfen – was aber mangels eines Senatsvotums noch keine Folgen hat. Einige Republikaner sprachen sich auch nach Clintons Rede gegen den Truppeneinsatz aus. Der rechte Präsidentschaftskandidat Phil Gramm kritisierte, Clinton entsende Soldaten „zur Durchsetzung eines undurchsetzbaren Vertrags“. Doch der republikanische Senatsführer Bob Dole, der gern als Staatsmann auftritt, sagte, er unterstütze „natürlich“ den Präsidenten und die Truppenentsendung komme, egal was der Kongreß dazu sage.

Weithin besteht Einigkeit, daß Clinton mit seiner Rede eine unüblich feste Position eingenommen hat. Damit ist es für seine Gegner schwer, ihn wie sonst wegen Unschlüssigkeit zu tadeln; außerdem wäre es unpatriotisch. Es steht zuviel auf dem Spiel. Von der Rolle der USA als führende Kraft der Nato hinge der Frieden in Bosnien ab, sagte Clinton – und der Umkehrschluß stimmt auch: Wenn die USA sich nicht in Bosnien engagierten, schreibt David Gompert, ehemaliger hochrangiger Europa- Berater von George Bush, gäben sie jeglichen Anspruch auf Einfluß in Europa auf. Dann „wäre die Nato das erste Opfer: Sie hätte weder Zweck noch Führung, noch Zukunft.“ Aber der Politologe Walter Russel Mead warnt in einem Zeitungskommentar: „Clinton hat seine Präsidentschaft vom Frieden im Balkan abhängig gemacht. Nun halten Slobodan Milošević und Franjo Tudjman Clintons politische Zukunft in ihren blutigen, skrupellosen Händen.“ Gelingt der Bosnien-Einsatz, könnte er Clinton die zweite Amtszeit sichern. Ein Scheitern könnte ihn in die sichere Niederlage führen. Und das hängt nicht einmal von ihm selbst ab. D. J.

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