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Leistungslohn für PolitikerInnen

■ betr.: „Das Diätenkarussell dreht sich weiter“, taz vom 24. 11. 95

[...] Die Argumente der PolitikerInnen sind bekannt: Schließlich leiste man ja sehr viel, habe wahrlich mehr zu tun als acht Stunden am Tage und schließlich müsse man das Einkommen der Inflation anpassen. Auf die Idee, einmal ernsthaft etwas gegen die bundesdeutsche (wenn auch nicht allzu hohe) Dauerinflation zu unternehmen, kommt allerdings niemand von diesen PolitikerInnen.

Oder die Arbeitslosigkeit. Sie ist das wichtigste Thema, wenn man Umfragen glauben darf. Ist es eigentlich schon jemandem aufgefallen, daß in der Politik heute so gut wie niemand mehr die Forderung nach Vollbeschäftigung aufstellt? Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit als politisches Ziel wird nicht mehr formuliert. Statt dessen so vage Formulierungen wie „einen Zuwachs verhindern“, „den Arbeitsmarkt stabilisieren“ u.ä.

[...] Immer wieder höre ich PolitikerInnen der verschiedensten Couleurs sagen, große monokausale Lösungen gebe es nicht und man müsse sich mit dem Machbaren abgeben und dort die Kräfte konzentrieren. Visionen seien ja ganz nett, aber die Zeit sei vorbei. Dieses Abfinden mit den Realitäten, dieses Kleinbeigeben ist es, was das Zutrauen in die Politik verhindert und was zur berechtigten Kritik an den Diätenerhöhungen führt. Wenn die Menschen wirklich Lösungen von den PolitikerInnen erwarten könnten, würden sie auch entsprechend hohe Diäten akzeptieren. Inkompetenz für die Lösung ihrer Probleme wollen sie berechtigterweise nicht bezahlen.

Vielleicht sollte man deshalb ein leistungsabhängiges Einkommen für Regierungen und Abgeordnete einführen. Eine Indexkennzahl, die sich aus der Veränderung gesellschaftlicher Kenngrößen herleitet, würde den Mut zu richtigen Entscheidungen stärken. Wie wäre es, die Abgeordneten und Regierungen nach der Arbeitslosenquote, der Luftverschmutzung, der Kohlendioxidfreisetzung, der Verschuldung, der Inflationsrate, der Lebenserwartung, dem Krankenstand, der Bevölkerungsentwicklung, der Obdachlosenquote, der Entwicklung der Einkommensunterschiede, der Zahl der Unfälle und Katastrophen sowie anderer wichtiger Kenngrößen zu bezahlen?

Ich höre schon die Gegenargumente: Man könne nicht in die Wirtschaft eingreifen. Darauf habe man keinen Einfluß usw. Eines ist richtig: Die Politik soll nicht selbst in die Wirtschaft eingreifen. Das gab es in Osteuropa 40 Jahre lang, und das hat nicht funktioniert. Aber die Politik hat die verdammte Pflicht, solche Rahmenbedingungen aufzustellen, daß richtige gesellschaftliche Zielstellungen wie Vollbeschäftigung, Schutz der natürlichen Ressourcen, soziale Gerechtigkeit, Wohlfahrt u.a. erreicht werden.

In Zeiten knapper Kassen stellt sich die Frage der leistungsgerechten Entlohnung von PolitikerInnen mit größerer Schärfe. Wir sollten von den PolitikerInnen für ihre hohen Diäten endlich Leistungen erwarten statt leerer Worte! Michael Rost, Magdeburg

[...] Wenn sich nun unsere Abgeordneten 25 Prozent Gehaltsaufbesserung verordnen wollen, ist das schlichtweg ein Skandal angesichts unserer hohen Staatsverschuldung und des arbeitenden Bürgers, der diese Lasten noch in Jahrzehnten abzahlen muß. Bei den Armen und Arbeitslosen wird gezwickt und gezwackt, aber die Reichen scheffeln Geld in die eigene Tasche. Das ist zwar normal, aber dennoch höchst unmoralisch. Der SPD wünsche ich, bei dem beträchtlichen Neuanfang, den sie dieser Tage vollbracht hat, daß sie sich zu diesem Vorhaben zu einem entschiedenen Nein durchringt. Sie würde als Alternative glaubwürdiger. Werner Leucht, Neckarsulm

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