Sammeln für Profit und Vaterland

■ Das Völkerkundemuseum zeigt, wie die Werbung seit 100 Jahren auf die Sammelwut setzt. Das Kapitel Werbung in der DDR wird mit Vergessen gestraft

Vor Werbung kann heute niemand mehr fliehen. Das war nicht immer so. Zu einer Zeit, als es noch kein Einkaufsradio und kein Sat.1- Glücksrad gab, wohl aber erste Absatznöte infolge der industriellen Massenproduktion, war Reklame noch kaum als Hilfsmaßnahme erkannt. Um so revolutionärer schien die Aktion der Pariser Kaufhauskette „Au Bon Marché“, die um 1870 Bilderserien herausgab und ihre Kunden mit einem Sammelbild pro Einkauf belohnte. Die Rückseite wurde gleich noch für ihre Firmenwerbung genutzt, die Nutzung des menschlichen Sammeltriebs zum Wohle des Konsums nahm fortan ihren Lauf. Weil die Bildchen schon damals ein Stück Zeitgeist widerspiegelten und diese Tatsache seitdem zur Werbung gehört wie Kitsch und Illusion, halten sie etliche Leute für historische Kulturdokumente. Und damit für einen Museumsfall. Seit Samstag zeigt deshalb das Museum für Volkskunde unter dem Titel „Die alltägliche Verführung“ Sammelbilder und Werbung aus 100 Jahren. Da die Sammelbilder die Highlights unter den Werbeträgern in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts waren, widmet sich die Ausstellung ihnen besonders.

Die Sammelbilder knüpften Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die innigste emotionale Bindung zwischen Produzent und Konsument, sie waren so eine Art Vorläufer der heutigen Reklamepreisausschreiben. Dieses vom besagten französischen Handelshaus angeleierte Spielchen griff schnell auch auf Deutschland über, wo große Firmen wie Liebig (Fleischextrakt) und Stollwerck (Schokolade) ebenfalls Sammelspaß nährten. Durch die beinahe künstlerische Gestaltung hoben sich die bunten Kärtchen von den vergleichsweise simplen Emailletafeln und Fassadenmalereien auffallend ab. Kein Wunder, daß sie in teils prächtigen Sammelalben massenhaft Verbreitung fanden. Die waren häufig die einzigen Bücher in vielen Familien, die kostbarsten sowieso.

Im Gegensatz zur heutigen Benetton-Masche wurde seinerzeit stets nur die „heile Welt“ gezeigt. Dazu zählten seinerzeit neben Natur- und Musikthemen auch chauvinistisches Trivialgedöns, Kosmetik- und Modehersteller huldigten dagegen besonders dem Körperkult. Filmstars und schöne Frauen hatten aber auch bei Zigarettenfirmen immer gute Karten. Ehe man jedoch ein Album z.B. mit den europäischen Schönheitsköniginnen der zwanziger Jahre voll bekam, mußte man schon 1.000 Zigaretten rauchen. Ein teurer Spaß, trotzdem kamen zwischen 1926 und 1945 etwa 700 Sammelbilderalben heraus, was früh auf die Kreativität der Branche hindeutete.

Auch zur NS-Zeit ließ der Körperkult nicht nach, nur kam er vor allem als bebilderte Leibesertüchtigung oder Rassenkunde daher. Auch auf die Art gelang es den Nazi-Verführern, die Deutschen gleich noch für ihre politischen Zwecke einzukaufen. Die Nazis schätzten die Propagandawirksamkeit der kleinen Bildchen so hoch ein, daß sie die Bilderdienste fix unter Staatsaufsicht stellten, um ungehindert SA-hudelnde Serien „Deutschland erwacht“ unters Volk zu streuen. Als es mit dem „Reich“ nicht mehr so gut lief, startete die Wehrmacht 1945 später eine Sammelserie über ihre Ritterkreuzträger. Gleichzeitig wurde in Heften für „Wir kochen sparsam und doch bekömmlich“ geworben.

Hitlers „Reich“ ging trotzdem unter, die Ästhetik der Werbung aber blieb zum Teil. In den brav- miefigen Wirtschaftswunder-Fünfzigern hatten unter anderem Margarine-Figuren Konjunktur. Jedenfalls im Westen. Wie in der DDR geworben wurde, ist in der Ausstellung so gut wie nicht zu erfahren. Sicherlich brauchte man im Osten mangels Angebot nicht für Blumen zum Valentinstag im Februar zu werben, aber einige Sammelserien gab's auch dort. Zum Beispiel in den legendären Schlagersüßtafeln namens „Crack“. Deren Verzehr war zwar auch Körperverletzung, aber der Schokoersatz kostete nur 80 Pfennige. Dafür waren die Bilder mit Tieren und Sportlern nur auf der Verpackung innen aufgedruckt. Und wo die Wessis ihr kultiges HB-Männchen hatten, freuten sich die Ossis am Minol-Pirol von der Tankstelle. Irgendwann gab's den aber auch nicht mehr, nachdem man in der Versorgungslücke DDR gemerkt hatte, daß Werbung eigentlich verzichtbar war. Gunnar Leue

Ausstellung läuft bis April 1996, Im Winkel 6–8, Dienstag bis Freitag 9–17 Uhr, Samstag und Sonntag 10–17 Uhr (sonntags freier Eintritt)