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Ein Laden für alles und jeden

■ Stadtmission finanziert Obdachlosenhilfe mit einem cleveren Projekt

Im Hinterzimmer des Ladens der City-Station in der Joachim- Friedrich-Straße 46 in Wilmersdorf ist das Chaos ausgebrochen. Weihnachtspyramiden und Kerzenhalter, Tannenbaumschmuck und Nußknacker machen sich den Platz auf den Tischen gegenseitig streitig. Mitten in der Unordnung des Geschäfts sitzt Sozialarbeiter Ulrich Neugebauer und versucht, sich einen Überblick zu verschaffen.

Neugebauer geht es wie allen Geschäftsleuten um den Profit – nur seine Recheneinheiten sind recht ungewöhnlich. Nicht mit Heller und Pfennig, sondern mit Mahlzeiten kalkuliert der Sozialarbeiter. Denn mit dem erwirtschafteten Gewinn des Ladens wird das Essen im Restaurant der City-Station gleich nebenan subventioniert. Dort sind vor allem Obdachlose zu Gast.

Zwischen 4.000 und 5.000 Mark setze der Laden im Monat um, sagt Neugebauer. Da es sich bei den Waren um Spenden von Privatpersonen handelt, bleibt ein Großteil des Umsatzes als Gewinn übrig. Um der guten Absicht willen ist Neugebauer strikt gegen Ramsch oder Schleuderpreise. Am liebsten bietet er besondere und damit eben auch teure Sachen an.

So ist beispielsweise der leicht zerzauste Steiff-Hund aus den dreißiger Jahren für stattliche 190 Mark zu haben; das japanische Teeservice, ebenso alt, kostet 130 Mark, der zusammenklappbare Zylinder im Schaufenster 120 Mark. Für die Diamantenstecknadel aus der Schmuckvitrine müssen Kunden schon das Fünffache auf den Ladentisch legen. Dagegen sind Strapse und Dessous geradezu billig – der Laden bekam kürzlich 30 Kartons mit Wäsche von einer alten Dame, die vor Zeiten selbst damit handelte.

Wer sucht, der findet. Und wer nicht gerade auf Antikes aus ist, muß auch nur halb so tief wie bei kommerziellen Händlern in die Tasche greifen. Bücher, Schallplatten, Holzspielzeug für Kinder, Geschirr, Kleider, Hüte, Schreibmaschinen und Möbel: die acht ehrenamtlichen Mitarbeiter verkaufen alles, was sich losschlagen läßt.

Für Neugebauer ist der Laden nicht nur Selbsthilfe in Zeiten knapper Kassen, sondern auch eine Möglichkeit, „Öffentlichkeitsarbeit“ zu betreiben. So fragten Kunden manchmal ganz erstaunt, ob denn das Restaurant von nebenan auch dazugehört. „So kommt man ins Gespräch“, sagt der Sozialarbeiter – und dem Ziel, zwischen Wohlstand und Armut eine Brücke zu schlagen, ein Stückchen näher.

Die City-Station in der Joachim- Friedrich-Straße 46 in Wilmersdorf ist dienstags, mittwochs und freitags von 11 bis 16 Uhr, donnerstags von 14 bis 19 Uhr geöffnet – an den Adventswochenenden auch sonnabends.

Asmus Heß/epd

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