: Hilflos, fahrig, unverständlich
Warum immer noch keiner weiß, ob die Neonazis Peter Binder und Franz Radl wirklich die erste Serie österreichischer Briefbomben verschickt haben ■ Aus Wien Daniel Asche
Peter Binder im Hof des Konzentrationslagers Mauthausen, den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben. Dann Peter Binder in Nazi- Uniform oder in der weißen Kapuzenkluft des Ku-Klux-Klans: Beweisfotos der Anklage im Wiener Briefbombenprozeß.
Auf der Anklagebank ist es eng. Eingekeilt zwischen Polizisten sitzt der Neonazi Binder, daneben sein Kampfgenosse Franz Radl. Anzug, Krawatte, souveränes Lächeln. Die Hoffnungsträger der österreichischen Neonazi-Szene haben ihre Emotionen unter Kontrolle. Nur den Beamten im frischgebügelten Polizeihemd ist der vorgeschriebene Schulterschluß mit den Angeklagten sichtlich unangenehm.
Gegenüber haben es sich die zwölf Geschworenen bequem gemacht. Deren hölzerne Sitzgruppe aus der Kaiserzeit erinnert an ein Chorgestühl. Über allem thront der Richter. Aktenberge im rosa Einband türmen sich auf seinem Tisch. In jeder Ecke des großen Saals mit Marmorsäulen und Stuckdecke stehen dezent gruppiert einige Staatspolizisten, die schwarze Aktentasche griffbereit. Nach wie vor gilt höchste Sicherheitsstufe im großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts.
Inzwischen ist auch der 21. Verhandlungstag verstrichen, die Lautsprecheranlage funktioniert nur gelegentlich, Akustik wie in einer Bahnhofshalle. Und Gerichtsverwirrung ist hier Alltag. Zeugen kommen und gehen. Wenn sie kommen. Und wenn sie reden, dann reden alle aneinander vorbei.
Richter: Verstehen Sie mich?
Zeuge: Meine Daten?
Richter: Hören Sie mich?
Zeuge: Ich möchte eine Erklärung abgeben.
Richter: Als Zeuge müssen Sie die Wahrheit sagen ...
Zeuge: Ich schwöre.
Richter: Ja. Ruhe im Saal.
Zeuge: Ich höre etwas schlecht durch die Kriegserlebnisse ...
Ein ganz normaler Prozeßtag. Der pensionierte Drogist F. ist 84 Jahre alt und einer der wichtigsten Zeugen der Anklage. Zeuge F. kommt aus Guntramsdorf, dem Heimatort von Peter Binder. Der 28jährige soll sich in der Drogerie des alten Herrn vor knapp zwei Jahren nach Bestandteilen der Briefbomben erkundigt haben: nach Plastikröhrchen und Chemikalien zur Herstellung von Nitroglyzerin. Peter Binder ist Elektrotechniker, bei seiner Festnahme im Dezember 1993 wurden im Kofferraum seines Autos Reste des Sprengstoffs gefunden.
Richter: Sie kennen Herrn Binder?
Zeuge: Er wollte Plastikröhrchen und Quecksilber. Und ich habe ihm gesagt, Quecksilberthermometer gibt es nicht, die sind nicht mehr erlaubt.
Mehr weiß der schwerhörige Zeuge nicht, und etwas gekauft habe der Binder Peter auch nicht bei ihm. Verzweiflung beim Staatsanwalt: Die Aussage des Drogisten sollte eigentlich eines der Hauptindizien des Prozesses werden.
Fast zwei Drittel der anfangs 135 Zeugen sind in diesem Prozeß bisher schon ausgefallen, weil sie nicht auffindbar sind, sich mit der Aussage selbst belasten würden oder im Urlaub am Strand liegen. Oder weil sie nicht aussagen dürfen, wie kürzlich der Chef der Antiterrorermittler. Da rief Richter Fischer mitten in der Verhandlung den Innenminister an, verlangte entweder eine richtige Aussagegenehmigung oder gar keine – und wurde abgewiesen.
40.000 Seiten Ermittlungsakten haben die Beamten der österreichischen Staatspolizei zusammengetragen, um Peter Binder und dem Studenten Franz Radl nachzuweisen, daß sie die zehn Briefbomben der ersten Serie im Dezember 1993 gebastelt haben. Der 28jährige, stark kurzsichtige Radl soll dabei der Kopf, Peter Binder der Bombenbauer und Briefträger gewesen sein. Doch angesichts der drei weiteren Bombenserien wachsen die Zweifel, ob die Richtigen auf der Anklagebank sitzen, zumal die Beweislage erschreckend lückenhaft ist.
Wieder Verhandlung. Die Angeklagten werden hereingeführt, eine eingespielte Prozedur, immer morgens Viertel nach neun. Auf einem Stuhl neben der Anklagebank sitzt Alexander Wolfert (32). Auch gegen ihn wird hier verhandelt. Nur weiß keiner so recht warum, denn mit den Briefbomben hat er nichts zu tun. Das sagt auch der Staatsanwalt. Aber rechtsradikal ist er schon, stand so wie Radl und Binder im Nazi-Notizbuch der Staatspolizisten. Und so wurde der arbeitslose Alkoholiker gleich mit angeklagt. Dem Gericht sagte er, zu den Nazi-Stammtischen des Gottfried Küssel sei er nur gegangen, weil das Bier dort billiger war. Radl und Binder kennt er von damals.
Richter Friedrich Fischer hat es schwer. Seit Prozeßbeginn schon steht er im Kreuzfeuer der Kritik: Gegen den Vorwurf der Befangenheit mußte er sich wehren, denn aus gemeinsamer Vereinsarbeit kennt er einen engen Freund des Angeklagten Radl. Und hartnäckig halten sich Gerüchte, Fischer sei schwer krank. Der bärtige Richter wirkt erschöpft, ausgezehrt und in seiner Verhandlungsführung fahrig. Immer öfter starrt er hilflos auf das goldene Kruzifix vor ihm auf dem Richtertisch.
Blitzlichtgewitter. Eine Woche war keine Verhandlung – die Gerichtsreporter brauchen neue Bilder. Außer den Journalisten lauscht fast niemand der Verhandlung. Franz Radl kommt heute im braunen Sakko, passend dazu die Khakihose. Das Pokerface tragt er stolz wie immer. Und Peter Binder ist besonders nett zum Richter. Er muß nämlich erklären, warum in seinem Hosenbund heute morgen ein Messer gefunden wurde, kein Anstaltsmesser, sondern eines mit geschärfter Spitze. „Das brauch' ich zum Wurstschneiden“, sagt er zuvorkommend. Fast jeder Häftling, erklärt er weiter, hat so ein Messer zum Wurstschneiden, denn mit dem Anstaltsmesser läßt sich die Gefängniswurst nicht schneiden. Einige Wochen vorher hat er dem Richter weniger freundlich erklärt, daß sie das Kehledurchschneiden und Nierenstechen damals bei den Wehrsportübungen nur zum Spaß gelernt haben. Das Waffenarsenal, das nach seiner Festnahme in der Wohnung gefunden wurde, habe er aus Leidenschaft angelegt.
Der Richter nickt. Heute ist er außer sich vor Freude, denn zum ersten Mal funktioniert die Lautsprecheranlage, zum ersten Mal haben auch die Geschworenen die Chance, alles zu verstehen – sei es auch nur akustisch.
Ein neuer Zeuge wird vernommen. Diesmal der Nachbar eines Opfers. Und der Vorsitzende ist in Hochform.
Richter: Hat der Magister Janisch Blutverlust erlitten?
Zeuge: Er hat stark geblutet.
Richter: Würden Sie das als erheblich bezeichnen?
Zeuge: Naja, die Taschentücher waren voll.
Der nächste Zeuge ist erst in einer Stunde bestellt, Pause, Gerichtskantine. Dann Vernehmung des Bombenopfers Wolfgang Gombocz.
Richter: Was heißt eigentlich Gombocz?
Zeuge: Das heist übersetzt Eiskugel.
Richter: Na, das stimmt nicht. In meinen Unterlagen steht, Gombocz heißt Fleck.
Zeuge: Nein, das stimmt nicht, das heißt Eiskugel.
Der ORF-Moderatorin Silvana Meixner – ebenfalls Adressatin einer Briefbombe – erging es nicht besser.
Richter: Ihr Name heißt auf lateinisch Wald, und auf der Briefmarke stand der Name Loretto, das heißt ,die im Olivenhain Geborgene‘. Besteht da ein Zusammenhang?
Einer der nächsten Prozeßtage, nach der Mittagspause. Heute soll ein Postbeamter vernommen werden, in seiner Gemeinde wurde damals ein Bombenbrief aufgegeben. „Wissen Sie, Herr Vorsitzender“, erklärt der Zeuge, „wir sind ein kleines Postamt, bei uns gibt es zwei Dienststempel. Auf dem einen steht A, auf dem anderen B. Und weil wir so wenig Post zu stempeln haben, dürfen wir mit einer speziellen Sondergenehmigung die Uhrzeit immer auf 00 lassen.“ Plötzlich lautes Klappern: Die Spule des gerichtseigenen Tonbandes rollt durch den Saal. Es kann nicht weiterverhandelt werden.
Pause.
„Noch nie zuvor verlief ein derart heikler Prozeß so flach wie dieser“, urteilte das Magazin News schon im Oktober. Und die Tageszeitung Der Standard polemisiert: „Das ist es, was diesen Prozeß so spannend macht – nichts.“ Am spektakulärsten waren da noch die Testsprengungen im Gerichtssaal: Es knallte wenigstens, mal lauter, mal leiser.
Von den Beobachtern glaubt niemand mehr ernsthaft, daß, wie geplant, Ende Dezember das Urteil verkündet wird. Trotzdem haben die Ankläger immer noch Glück gehabt: So, wie der Prozeß bisher läuft, hätten sie Binder und Radl wohl nicht einmal die NS- Wiederbetätigung lückenlos nachweisen konnen. Doch ihre Neonazi-Aktionen (und nur die) haben die beiden inzwischen weitgehend gestanden.
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