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„Keiner weiß, welcher Frau sie blüht“

■ Wochenbettpsychosen: Erfolgreiche Behandlungsmethoden werden ignoriert

Seit über 20 Jahren leitet die Frauenärztin Katharina Dalton ihre eigene Frauenklinik in London. Frauen, die nach der Entbindung ihrer Kinder quasi über Nacht an einer Wochenbettpsychose erkrankten, konnte aufgrund Daltons Erkenntnissen über die Hormonumstellung meistens sehr schnell ohne längere Klinikaufenthalte geholfen werden. Progesteroninjektionen bringen den Hormonspiegel der Patientinnen wieder auf ein normales Niveau; Antidepressiva und psychotherapeutische Maßnahmen unterstützen die Behandlung. Daltons Erfolge scheinen ihrer Therapie recht zu geben, doch es gibt wohl kaum eine andere Behandlungsmethode, die bisher so vielen Frauen geholfen hat, aber dennoch von den meisten MedizinerInnen derart abgelehnt oder ignoriert wird. Da sind die Endokrinologen, die sich die Wochenbettpsychosen aus gynäkologischer und hormoneller Sicht betrachten, und andererseits die PsychiaterInnen, die nach den seelischen Ursachen der Psychosen forschen. Immerhin sind sich beide Seiten einig, daß es sich bei der nach einer Geburt einsetzenden Depression um eine hormonelle und biochemische Reaktion des Körpers auf die Entbindung handelt. Entpuppt sich die Depression als eine schwere Psychose, offenbart sich bei der Frau ein psychischer Schwachpunkt. „Keiner weiß, welcher Frau das blüht“, betont Dr. Doris Bolk. Als Oberärztin der Psychiatrischen Klinik der FU Berlin betreut sie seit knapp neun Jahren das „Rooming-in“ von psychisch erkrankten Müttern mit ihrem Kind auf ihren Stationen. Das Zusammenleben fördert die Bindungsfähigkeit der Mütter und nimmt ihnen die Schuldgefühle. Außer der Behandlung mit Psychopharmaka werden Ergo-, Musik- und Bewegungstherapie angeboten. Soweit es möglich ist, wird den Müttern die Versorgung ihres Kindes allein überlassen. Das Personal springt nur in Krisen ein.

In Berlin und wohl auch in Deutschland ist diese Einrichtung einmalig. In England und Skandinavien hingegen gibt es solche Mutter-Kind-Stationen bereits seit längerem. Ihr außerordentlicher Erfolg ist unbestritten. Von 35 Mutter-Kind-Paaren, die bisher in Berlin Aufnahme gefunden haben, stellte sich nur in drei Fällen kein Erfolg ein. Dennoch: Obwohl Symptome wie Verworrenheit, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, widersinnige Handlungen und Schlaflosigkeit frühzeitig bei depressiven oder schizophrenen Psychosen erkennbar sind, werden diese Signale oft nicht rechtzeitig wahrgenommen, weil das Wissen über die plötzliche Erkrankung unter den FachärztInnen ungleich verteilt ist. Die PsychiaterInnen wissen noch am besten über den Krankheitsverlauf Bescheid. Sie sind aber nicht bei Entbindungen vorgesehen. Bei ihnen landen die Frauen meist erst, wenn die Psychose bereits Besitz von ihnen ergriffen hat, sie im schlimmsten Fall einen Selbstmordversuch unternommen oder ihr Kind durch Gewalt Schaden genommen hat. Zudem stoßen Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes nicht glücklich sind, an ein Tabu, das nicht gerne gebrochen wird, wie die Psychologin Kristin White meint. Nach wie vor müßte es das schönste Ereignis im Leben einer Frau sein, Mutter zu werden.

Entspricht eine Frau nicht diesem Bild, stößt sie oft schon im Krankenhaus auf Unverständnis. Selbst die Hebammen, die den Frauen anfangs am nächsten stehen, werden in ihrer Ausbildung nur ungenügend über postnatale Psychosen aufgeklärt. „Das Thema kommt in der Ausbildung sehr kurz“, sagt Kathrin Scheler. Damit geht es den Hebammen ähnlich wie den Gynäkologen, denen es vielfach am psychiatrischen Wissen mangelt. Der fehlende Austausch unter den einzelnen Fachdisziplinen steht daher schneller Hilfe im Wege. Vorbeugen kann man einer Psychose nur den Fällen, wo sich die Erkrankung schon während der Schwangerschaft angekündigt hat, die Frau familiär durch Psychosen vorbelastet oder sie schon einmal an einer Wochenbettpsychose erkrankt ist. Auf Hilfe ist sie aber auch dann angewiesen. „Die Bereitschaft zu einer psychischen Erkrankung kann man nicht wegzaubern“, sagt Dr. Bolk, „die Frau kann nur lernen damit umzugehen.“ Petra Welzel

„Rooming-in“ von Mutter und Kind: Kontakt über Dr. Doris Bolk-Weischedel, Psychiatrische Klinik und Poliklinik der FU Berlin, Eschenallee 3, 14050 Berlin.

Jutta Gier bietet in Berlin eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit postnatalen Depressionen und Psychosen an; Auskunft im Geburtshaus e. V. Gardes-du-Corps-Straße 4, 14059 Berlin, Tel.: (030) 3223071; Themenabend am 7. 5. 1996.

Katharina Dalton: „Mütter nach der Geburt. Wege aus der Depression“. Stuttgart 1984

Carol Cix: „Depressionen nach der Geburt. Hilfe für Mütter (und Väter)“. Hamburg 1991

Gerhard Leibold (Heilpraktiker): „Postnatale Depression. Ursachen und Behandlung“. Düsseldorf 1989

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