piwik no script img

Scheußlich, wenn Cops mit Leichen Tango tanzen

■ Beunruhigende Nachrichten für gute Menschen. Der Krimiautor Pavel Kohout liest heute in der Reihe Cream of Crime im Brecht-Haus. Seine Helden sind saubere Kriminalisten zwischen lauter Stiernacken

Prag, Frühjahr 1945. Tschechen und Deutsche versuchen gemeinsam, einen Witwenkiller zur Strecke zu bringen: „Von der Papierform denkt man: das ist ausgereizt. Ist es aber nicht. Der Roman zeigt, was man mit altbackenen Krimi-Mustern – serialkiller- Roman, historischer Kriminalroman – alles machen kann.“ Autor ist Pavel Kohout: Großdramatiker und tschechischer Alt-68er.

Sein gerade zitierter Gastgeber Thomas Wörtche, begrüßt ihn heute abend mit dem Roman „Sternstunde der Mörder“ in der Lesungsreihe „Cream of Crime“. So famos aber wie das Gros der Kollegen, die im Brecht-Haus zu Wort kommen, beherrscht Kohout das Genre nicht. Seine Helden, saubere Kriminalisten zwischen lauter Stiernackenfaschos und Kollaborateuren, nerven, weil sie sich nicht dazu durchringen können, Typen statt Individuen abzugeben.

„Es gibt“, sagt Profi Jerry Oster zu Thomas Wörtche, „es gibt nichts Blöderes als ein Buch, das mehr erzählt, als man wissen muß.“ Der Aphorismus des Erstgeladenen bei „Cream of Crime“ ist Quatsch, für den Krimi jedoch stimmt er. Auf Seite 190 endlich gelingt dem Kriminaladjunkten in der Assoziation von politischem Stumpfsinn und metaphorischer Geste seine erste abduction – jener berühmte kriminalistische Geistesblitz aus dem Geiste seiner Abwesenheit: „Ja, antwortete er sich. Adolf Hitler war das politische Willensprodukt einer aus den Fugen geratenen Nation, schrecklich, doch erklärbar und demzufolge besiegbar. Der unbekannte und unberechenbare Mörder aber zog das dünne Häutchen der Zivilisation von der Menschheit ab und schleppte sie in eine bestialische Urzeit zurück.

Der Angler, immer noch gut in Sichtweite, holte die beiden Schnüre ein, machte eine alte Blechbüchse auf und spießte zappelnde Regenwürmer auf die Haken. Dann holte er aus, und die Köder fielen mit einem Schwirren zwischen Kahn und Ufer ins Wasser. Der Mann im Boot grüßte herüber, doch Morava starrte nur dumpf zu ihm hin. Das war die Idee!“ Klassisch.

Klasse aber dann, wie der rettende Entschluß, Lockvögel auf den Mörder anzusetzen, das finale Desaster einleitet. Auch abduktive Äquivalenzlogik bannt Kontingenz nicht: Zum Schluß hat ein thermodynamischer Lehrsatz nicht nur die feine Trennung der Subsysteme Recht/Liebe/Politik, sondern mit diesen auch das gesamte Personal dahingerafft.

Das wird Thomas Wörtche gefallen haben. Flirrt hier doch der Paradigmenwechsel, den er dem Krimi seit den siebziger Jahren bescheinigt: In das Geklapper von whodunit und die Zentralperspektive von hard boiled bricht die Lachkultur ein, der vielstimmige Irrsinn von Gewalt in den Krimis seit Wambaugh und Chester Himes: „Es ist scheußlich, wenn Polizisten mit einer halben Leiche Tango tanzen. Aber wenn es plausibilisiert ist, ist es auch komisch. Eine beunruhigende Nachricht für gute Menschen.

Aber wer weiß, daß man strukturelle Gewalt nicht mit irdischer Gerechtigkeit kriegt, kann sie auch mit der poetischen geißeln: „Bring sie um!“ Herrlich wettert Wörtche – einst Chef von „Underground“ – über Frauenkrimis, Soziokrimis, Sabine Deitmer, „Thea Dorn und den ganzen Biederkram“. In sein Büro gebückt hat der Herausgeber der Anthologie „Mörderisches Berlin“ (1995) eine Autorenliste zusammentelefoniert, die übersteigt, was diese Stadt je an Krimilesungen hatte: Knackevoll war das Haus schon beim metropolitanen Moralisten Jerry Oster im Oktober, dann las Reg Gadney aus „Totzeit“, einem Agentenkrimi outside-in, heute folgt mit Kohout die historisierende Variante, im Januar der Brite Julian Rathbone, im Februar die Schweizerin Milena Moder, im März Andreu Martin, dann der Mythomane Charyn, Ross Thomas, Daniel Pennac... Fritz v. Klinggräff

Pavel Kohout liest heute um 20 Uhr im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen