piwik no script img

Keine Mickymaus-Architektur

...aber Häuser aus dem 18. Jahrhundert würde Peter Kottmair am liebsten bauen. Mit dem Investor, der auf Aldo Rossi steht, sprachen  ■ Rolf Lautenschläger und Uwe Rada

taz: Herr Kottmair, Sie sollen für das Filetgrundstück am Leipziger Platz 380 Millionen Mark bezahlt haben. Eine Summe, die der Heidelberger Großinvestor Roland Ernst „abenteuerlich“ genannt hat. Die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) hatte 305 Millionen verlangt. Haben Sie sich verspekuliert?

Peter Kottmair: Roland Ernst weiß ganz genau, daß wir keine 380 Millionen bezahlen müssen.

Was haben Sie denn bezahlt?

Der Preis setzt sich aus verschiedenen Flurstücken zusammen. Zum Hauptgrundstück des ehemaligen Kaufhauses Wertheim wurden noch andere Grundstücke arrondiert, die dem Land Berlin gehören. Das ganze Areal geht bis zur Wilhelmstraße.

Unsere Frage geht weiter. Wieviel haben Sie für den Leipziger Platz hinblättern müssen?

Der Kaufpreis muß im wesentlichen auf drei Verkäufergruppen verteilt werden. Bei den Flurstücken im Bundesbesitz sind die Preise gesetzlich festgelegt. Daneben sind Flurstücke des Landes, dann kommen die Flurstücke, die von der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft verkauft werden. Das ist das Hauptgrundstück. Wenn Sie drei unterschiedliche Verkäufer haben, die nicht genau wissen, welcher Anteil des Gesamtpreises ihnen zusteht, macht es wenig Sinn, mit der Presse den Kaufpreis zu diskutieren.

Sie würden uns sicher nicht widersprechen, wenn wir sagen: Sie haben mehr bezahlt als die anderen Bieter.

Doch, da würde ich widersprechen. Ich habe einen Preis zwischen dem Höchstgebot von 350 Millionen und dem Niedrigstgebot von 305 Millionen bezahlt – näher bei 305 Millionen. Wir sind von einer ganzen Reihe von Bietern überboten worden. Den Zuschlag haben wir bekommnen, weil es sich bei der Ausschreibung um ein sogenanntes Berliner Verfahren handelte, bei dem nicht der Höchstbieter den Zuschlag bekommt, sondern derjenige, der ein stadtverträgliches Konzept vorweisen kann.

Was ist an Ihrem Konzept stadtverträglich?

Wir nehmen keine Großbebauung vor, sondern gehen zurück auf die Urparzelle und versuchen die Stadtentwicklung hinter das 19. Jahrhundert zurückzudrehen.

Wie bitte?

Der Ausgangspunkt war ein Entwurf von Aldo Rossi für den Leipziger Platz von 1990. Den haben wir auf einer Ausstellung im Frankfurter Architekturmuseum gesehen, und da haben wir gedacht, von all den futuristischen Entwürfen ist das das malerischste. Dieser Entwurf war im übrigen auch der Grund, warum wir uns für das Quartier Schützenstraße für Aldo Rossi als Architekt entschieden haben. Aus dem kleinteiligen Konzept für das Quartier Schützenstraße haben wir versucht, eine Diskussion über den Leipziger Platz zu entwickeln.

Versuchen Sie mit der Architektur von Aldo Rossi in die Berliner Architekturdebatte, in die herrschende Stadtplanung einzugreifen?

Wissen Sie, Ich bin kein Städteplaner, sondern ein Grundstücksentwickler. Das, was meine Frau und ich machen können, ist, sich mit der Stadtstruktur zu beschäftigen und viele Leute zu hören, auch Architekturhistoriker. Zum Beispiel schätze ich sehr den Architekturkritiker Hoffmann- Axthelm. Er hat uns anhand der ursprünglichen Parzellenstruktur des 18. Jahrhunderts gezeigt, welche modernen Haustypen und welche Innenhofstruktur aus dem Skelett dieses Quartiers entwickelt werden können. Das war eine Anregung, die wir an Aldo Rossi weitergegeben haben. Aber für die kleinteilige Bebauung der Schützenstraße gibt es noch einen anderen Grund: Wir waren schlicht und einfach gezwungen, parzellenscharf zu bauen, weil wir nur einen Restitutionsfall nach dem anderen lösen konnten. Ich konnte ja nicht zu meinen Banken und zum Senat sagen, ich hätte das ganze Areal in der Hand. Wir haben mit 2.000 Quadratmetern angefangen.

Wenn Sie von Anfang an das gesamte Areal zur Verfügung gehabt hätten, hätten Sie dann genauso gebaut?

Soll ich Ihnen sagen, was ich gerne gebaut hätte, ohne all die wirtschaftlichen Zwänge? Ich hätte versucht, die alten Häuschen wieder zu bauen. Und zwar nicht die des 19. Jahrhunderts, sondern die des 17. und 18. Jahrhunderts. Diese netten, kleinen Häuschen.

Sie haben es aber nicht getan, weil Sie nicht in erster Linie als Menschenfreund Grundstücke entwickeln, wie man sagt, sondern um Geld zu verdienen.

Wir müssen alle unsere Zinsen zahlen. Aber städtebauliche Qualität muß kein Verlustgeschäft sein. Als wir für die Schützenstraße 1991 so eine kleinteilige Bebauung vorgeschlagen haben, sind wir ja sehr angefeindet worden, sowohl von der Genehmigungsseite als auch von den Maklern. Da hieß es immer: Mickymaus-Architektur, Potemkinsche Dörfer, außen unterschiedliche Fassaden, innen alles gleich. Dann haben die Makler gesagt, wir könnten das nie vermieten, die Leute suchten 3.000 Quadratmeter auf einer Ebene. Was wir hätten, sind allenfalls 300 Quadratmeter am Stück, und dann kommt schon wieder eine Fluchttür und eine Brandwand.

Und heute können Sie sich vor Erfolg gar nicht mehr retten.

Wenn Sie einmal die Nachfragestruktur anschauen, dann sehen Sie: 60 Prozent bewegen sich unter 400 Quadratmetern. Die überwiegende Nachfrage liegt also im kleinteiligen Bereich. Allerdings läuft die Vermietung kleinteiliger Flächen nur zum geringen Teil über die Makler. In der Hauptsache kommen diese Mietverträge direkt durch Angebot und Nachfrage zustande. Die Leute wollen sehr genau wissen, wo sie einziehen. Die warten, bis der Rohbau und die Fassade stehen. Bei den Geschäftshäusern Friedrichstadt wird ja die Fassade angehängt, bevor der Rohbau völlig trocken ist, das ist ganz schön clever.

Also ist die Schützenstraße bis unters Dach vermietet?

Wir haben die Flächen, die wir für schwierig hielten, als erstes vermietet.

Die großen Flächen...

Ja. Und die im Basement. Also die Magnetmieter, die wir brauchen. Die vielen kleinteiligen Geschäfte drum herum, die brauchen ja Kundschaft.

Für welchen „Magnetmieter“ haben Sie sich entschieden?

Wir haben „Netto“ genommen. Das ist ein dänischer Discounter. Auch deswegen, weil Netto bei unserem Projekt an der Landsberger Allee schon Mieter ist. Dort haben wir eine Lage, von der Sie denken, die sei noch viel schwieriger als die Schützenstraße. Dennoch haben wir dort bereits vor Baubeginn 40 Prozent vermietet, und zwar zu Preisen, die deutlich über unserer Kalkulation liegen. Das betrifft sowohl die Einzelhandelsflächen als auch die Büroflächen.

Sie behaupten, daß sich städtebauliche Qualität bei Büro- und Geschäftshäusern auch in Krisenzeiten wie der aktuellen auszahlt. Warum behalten Sie Ihre Projekte dann nicht? Was ist Ihre Unternehmensphilosophie als Developer, als Projektentwickler?

Wir sind ein mittelständisches Unternehmen. Wir sind nicht Sony, und wir sind auch nicht debis. Die Schützenstraße hat im Fonds ein Investitionsvolumen von etwa 430 Millionen Mark. Wir haben dort folgendes gemacht: wir haben die Grundstücke zusammengekauft, haben die rechtliche Situation geklärt, haben das Konzept erarbeitet, haben für die Genehmigungsfähigkeit gesorgt, haben die Baufirmen zusammengetrommelt, machen die Projektsteuerung, suchen uns die Mieter, geben Mietgarantien den Banken gegenüber ab, haben für die Zwischen- und die Endfinanzierung gesorgt, wir machen sozusagen alles. Das ganze Paket. Sie müssen nämlich immer die Systemfähigkeit haben, wie man das im Flugzeug- oder im Autobau sagt. Sie müssen von der Grundstücksakquise bis hin zur Vermietung und der Suche des Endinvestors als Firma alles abdecken. Erst dann können Sie verkaufen.

Warum entwickeln andere nicht genauso wie Sie?

Nehmen Sie die großen Kapitalsammelstellen, zum Beispiel eine Versicherung. Versicherungen entwickeln in der Regel nur für den eigenen Bestand, also Versicherungsgebäude. Beim Bieterverfahren für den Leipziger Platz hat deshalb keine Versicherung den Zuschlag erhalten, weil der Senat neben den Ministerien nicht noch ein weiteres großes Verwaltungsgebäude wollte.

Aber es sind in Berlin doch gerade die institutionellen Anleger wie Banken und Versicherungen, die im Baugeschehen weitaus häufiger vertreten sind als private Bauherren wie die Kottmairs.

Die institutionellen Anleger sind gesetzlich derart eingeschränkt, daß die sich kaum bewegen können.

Das hieße, daß die institutionellen Anleger gar nicht erfolgreich entwickeln können.

So ist es. Die Grundstücksentwicklung ist ein hochriskantes Geschäft, wenn ich das mal so sagen darf. Und das müssen Sie absichern, in jeder einzelnen Phase. Sie gehen ja während der ganzen Dauer eines Projektes konjunkturell durch Ebbe und Flut.

Urbanität ist heutzutage zum Allerweltswort geworden. Sind Sie der Meinung, daß die planerischen Vorgaben von 20 Prozent Wohnfläche noch richtig sind, oder müßte dieser Anteil deutlich erhöht werden?

Wir haben im Quartier Schützenstraße 20 Prozent Wohnen. Wenn Sie mich fragen – und da spreche ich gegen die Interessen der Entwickler –, ist dieser Anteil noch viel zuwenig. Wenn Sie daran denken, wieviel Einwohner Berlin- Mitte vor dem Krieg hatte, fehlen schlicht 100.000 Leute. Die neuere Städteplanung hat riesige Fehler gemacht. Gott sei Dank versucht man hier in Berlin wieder Wohnen, Arbeiten und Einkaufen zu mischen. Nur so haben Sie ja eine Chance, einen lebendigen Stadtteil zu bekommen.

Ihr Plädoyer wäre also, zu sagen, wir machen da noch viel mehr Wohnungen rein.

Die Mischung ist das eine. Die andere Frage ist, ob sich durch die Neubebauung eines Quartiers auch städtebaulich eine urbane Atmosphäre erzeugen läßt. Alles, was von dieser sterilen Büronutzung oder dieser sterilen Einkaufsnutzung weggeht, ist gut. Man kann durch Neubau Urbanität schaffen, wenn man darunter zum Beispiel nur Kundenfrequenz versteht. Der Handel hat solche Konzepte entwickelt, sehr zum Mißvergnügen der Städte. Der Handel kann Ihnen auf der grünen Wiese eine Kiste hinbauen, und das brummt.

Aber das nennt doch kein Mensch Urbanität.

Aber Urbanität ist natürlich etwas anderes, richtig. Urbanität hieße Freiräume in der Stadt, das ist nicht die künstlich erzeugte Massenansammlung, sondern das Leben in der Stadt. Das ist leider Gottes natürlich wirtschaftlich nicht so attraktiv.

Urbanität wäre demnach unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nur durch eine freiwillige Selbstbeschränkung der Investoren zu erreichen?

Urbanität in dem Sinne bedeutet für den Entwickler Verzicht auf wirtschaftliche Möglichkeiten. In der Schützenstraße operieren unsere Nachbarn teilweise mit einer Geschoßflächenzahl von 6, also einer ungewöhnlich hohen Flächenausnutzung. Wir waren in der Planung bei vier Komma noch was. Ich war der Ansicht, die Ausnutzung müßte höher liegen, aber Aldo Rossi meinte, darunter würde das Gesamtensemble leiden. Ich bin zwar immer sehr schnell dabei, wirtschaftliche Möglichkeiten zu nutzen. Doch das hat seine Grenze, wenn Sie im Ergebnis ein verfettetes, aufgeblasenes Gebäude kriegen, bei dem die Mieter bald merken, daß der Anteil minderwertiger Flächen unverhältnismäßig hoch ist. Also sind wir bei der niedrigeren Ausnutzung geblieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen