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Rote Karte für die Verwaltungsreform

■ Rechtsamtsleiter kritisieren Verwaltungsreform als verfassungswidrig. Senatskanzlei weist Bedenken zurück

Die Amtsjuristen machen gegen die Verwaltungsreform mobil. Die Rechtsamtsleiter der Bezirke haben die angelaufene Reform des Berliner Behördenapparates als verfassungswidrig bezeichnet. Die Umgestaltung der bankrotten Bürokratie durch kommerzielle Unternehmensberatungen sei zu marktwirtschaftlich angelegt, kritisieren die Juristen. Unbekümmert würden „verfassungsrechtliche und einfach gesetzliche Vorgaben beiseite geschoben“, schreiben sie jetzt in einem Brief an Innensenator Dieter Heckelmann.

Die Reform firmiert unter dem Logo „Unternehmen Verwaltung“. Seit über einem Jahr versuchen drei Consulting-Firmen Bezirken und Senat den alten preußischen Beamtengeist auszutreiben: Aus Amtsleitern sollen Manager werden. Doch ehe das Jahrhundertprojekt im kommenden Jahr so richtig in Schwung kommen soll, ist erst allerlei betriebswirtschaftliches Einmaleins einzuführen: Verwaltungsakte der Behörden wie etwa die Ausgabe eines Reisepasses oder einer Hundemarke heißen neuerdings „Produkte“. Ab Januar 1996 soll eine Kosten- und Leistungsrechnung starten. Diese soll erstmals in der deutschen Verwaltungsgeschichte Auskunft darüber geben, wieviel es eigentlich kostet, Wohngeld oder Sozialhilfe zu beantragen.

Gegen die Verwendung betriebswirtschaftlicher „Kunstbegriffe“ wenden sich nun die Rechtsamtsleiter in ihrem 13seitigen Brief. Eine undifferenzierte Übernahme marktwirtschaftlicher Modelle verbiete sich, schreiben sie. Die Kommune führe, anders als ein Wirtschaftsbetrieb, „nicht schlechthin ,Produkte‘, über deren Auswahl sie verfügen und die sie notfalls bei etwaiger Unwirtschaftlichkeit auch aufgeben könnte“.

Neben den Rechtsamtsleitern fürchten auch der „Verband der Verwaltungsjuristen“ um ihre herausgehobene Stellung in der Bürokratie. Die Amtsleiter hätten nach der Reform nicht mehr „den Durchgriff in die letzte Nische der Verwaltung“, kritisieren die Rechtsamtsleiter. Zu deutsch: Amtsleiter sollen auch weiterhin alles abzeichnen müssen und in jeden Vorgang der Untergebenen hineinregieren. Gegen diese überkommenen Vorstellungen der Verwaltung aber richtet sich die Reformidee: Statt der streng hierarchisierten und an Vollzugsvorschriften orientierten deutschen Verwaltungskultur wollen die Reformer dagegen den öffentlichen Beschäftigten mehr Eigenverantwortung zugestehen.

Zu den Vorschlägen zählt etwa, daß SenatorInnen und Bezirksspitze künftig nicht mehr per Anweisung von oben, sondern über Verträge mit den öffentlich Beschäftigten verkehren. Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) etwa hatte auf diese Weise in einem Pilotvertrag ihren sozialpädagogischen Fortbildungsleitern im Mai mehr Handlungsfreiheit eingeräumt: das hieß erstmals mehr Disposition über Personal und Mittel auch auf der unteren Ebene. Dieses Verfahren („Zielvereinbarungen“) trete eine „behördeninterne neue Regelungsflut“ los, fürchten nun ausgerechnet die Rechtsamtsleiter der Bezirke – die Herrscher über vielbändige Verwaltungsvorschriften.

Die Senatskanzlei reagierte schroff auf das Schreiben der Rechtsamtsleiter. Die begonnene Verwaltungsreform mit dem Ziel von mehr Effizienz und Bürgernähe sei „durch solche Rechtsbedenken nicht auszuhebeln“, hieß es. Die mit dem Thema betraute Chefin der politischen Koordination der Senatskanzlei, Marion Schmialek, fügt hinzu, „daß es Juristen gibt, die sich ein bißchen eingraben, weil sie ihre herausgehobene Position gefährdet sehen“. Als Ursache der Kritik machte sie noch bestehende Koordinationsprobleme aus. Ein Beamter, der bei der Senatsverwaltung für Inneres derzeit eine Antwort auf das Juristen-Papier formuliert, zeigte sich trotzdem optimistisch, daß die Botschaft der Juristen „beim Regierenden Bürgermeister Diepgen angekommen ist“. Christian Füller

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