: Wie rettet man den Standort Deutschland?
■ Die Autoindustrie entledigt sich eher der Menschen, als Neues zu entwickeln
Eisenach (taz) – Fast so frostig wie die Temperaturen draußen war das Klima zwischen Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern im Wappensaal der Wartburg – dort, wo Luther ein Tintenfaß auf den Teufel geschleudert haben soll. Doch zumindest redeten Arbeitgeber und Gewerkschafter miteinander auf dem Forum der IG Metall über die „Zukunft des Automobilstandortes Deutschland“. Betriebswirtschaftler Horst Wildemann von der TH München, der von den Metallern als unabhängige Instanz geladen worden war, las zunächst den Arbeitnehmern die Leviten. 70 Prozent der Kosten für die Herstellung eines Autos gingen in Deutschland für Personal drauf. Insgesamt hätten die deutschen Pkw-Hersteller 15 Prozent höhere Kosten hinzunehmen als die Konkurrenz in Japan oder den USA.
Bei Innovationen, lobte Wildemann, hätten die Europäer die Nase vorn. Doch um Kosten zu senken, seien insbesondere neue Organisationsformen bei der Produktion notwendig. „Henry Ford hat die größte Automobilproduktion der Welt aufgebaut“, bemerkte Wildemann süffisant. „Der Mann hat kein neues Auto erfunden, sondern die Produktion neu organisiert – durch die Einführung des Fließbandes.“
Der zweite IG-Metall-Vorsitzende Walter Riester setzt dagegen eher auf Innovation. Er fordert zur Rettung des Automobilstandortes Deutschland die Entwicklung neuer umweltfreundlicher und für integrierte Verkehrskonzepte konzipierter Automobile. „Mobilitätsprobleme umweltfreundlich lösen“ sei die aktuelle Aufgabe für die Unternehmen. Kein Konzern biete dafür bessere Voraussetzungen als Mercedes- Benz, der Straße, Schiene und Luft abdeckt. Doch statt das Potential zu nutzen, setze die Unternehmensführung allein auf Kostenreduzierung durch Rationalisierung. Mit einer um 40.000 MitarbeiterInnen reduzierten Belegschaft beabsichtige der Konzern, in den nächsten Jahren 400.000 Autos mehr zu produzieren. „Es ist offenbar leichter, sich der Menschen zu entledigen, als Neues zu entwickeln.“
Wenn es darum geht, Kosten abzubauen, werden auch die Zulieferer geknebelt. Das Auto der Zukunft wird nur noch zum Schluß von den eigentlichen Automobilwerkern zusammengeschraubt; den Rest erledigen Fremd- und Zulieferfirmen. Deshalb habe das Opelwerk in Eisenach eine große Zukunft vor sich. Die General- Motors-Tochter erwartet, daß sich die Zulieferer um das Werk am Fuße der Wartburg gruppieren, um die Just-in-time-Vorgaben erfüllen zu können. Den auf der Wartburg anwesenden Gewerkschaftern von den Opel-Standorten Rüsselsheim und Bochum wurde es flau im Magen. Und einer suchte nach dem Tintenfaß... Klaus-Peter Klingelschmitt
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