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1984, als die Grünen noch eine grüne Zukunft hatten, da schrieben Thomas Ebermann und Rainer Trampert ihr Buch „Die Zukunft der Grünen“. Es empfahl der Partei „Tolerierung“ statt rot-grüner Koalitionen. Vor fünf Jahren traten beide aus der Partei aus. Nun ist „Die Offenbarung der Propheten“ erschienen. Das aufrechte Duo hat eine herkulische Aufgabe: die systemkritischen Linken zusammenzuführen, die sich die „Autonomie der Verweigerung“ bewahren wollen.Die Fibel für alle, die bemüht sind, nicht zu verblöden

Eine Würdigung von Jutta Ditfurth

In der Buchhaltung der 90er Jahre wird ein Deutscher gegen 17 Tschechen, 18 Polen oder 70 Russen gerechnet. Die Entwertung des Menschen schreitet rapide voran – das Kapital kann seit dem Mauerfall seine Beutezüge noch enthemmter durchführen. Und so beschreiben Thomas Ebermann und Rainer Trampert auf den ersten Seiten von „Die Offenbarung der Propheten“ zunächst, wie sich der Kapitalismus selbst „saniert“ und dabei die Menschen zerstört.

Neue Hinterhöfe und Reichtumsquellen bedürfen der Absicherung. 1992 wurden die Bundeswehrrichtlinien verändert. Neben der Mitgliedschaft im westlichen „Verteidigungs“-Bündnis geht es nun auch um die Pflicht, sich für „deutsche Wertvorstellungen und Interessen einzusetzen“. Das Ziel ist die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“. Schüchtern kommentierte die Zeit, so etwas habe man früher ein „imperialistisches Programm“ genannt.

Damit möglichst viele Mittel in die neuen Raubzüge gesteckt werden können, müssen das nationale Kapital und sein Staat im Innern einen neuen nationalen Konsens durchsetzen. Ebermann/Trampert beschreiben an vielen Personen und Gruppen, wie erfolgreich dabei kritisches und linkes Bewußtsein deformiert wird. Eine Zeitreisende, zurückgekehrt nach zehn Jahren, würde unter Reform (noch) nicht den Entzug von Arbeitslosenhilfe verstehen und unter humanitärer Intervention oder Durchsetzung von Menschenrechten noch keine Luftangriffe. Sie wäre ein wenig überrascht, Auschwitz als Rechtfertigung für Kampfeinsätze der Nato instrumentalisiert zu sehen.

Im Kapitel „Die Verwandlung linker Theorie in Esoterik“ nehmen sich Ebermann/Trampert Theoretiker vor, die den Propheten spielen. Da wird das revolutionäre Subjekt mystifiziert: Der Historiker Karl-Heinz Roth entdeckt es in marginalisierten JobberInnen und SubproletarierInnen. Kaum haben Roths Neuproletarier nur eine irgendwie „linke“ Wut aufs Kapital, schon prophezeit er revolutionäre Erhebungen, wobei er nationale Einstellungen und anderes bewußtloses Beiwerk gern übersieht.

Reformistische Linke biedern sich bei ArbeiterInnen ähnlich an. Ob die trotzkistische VSP, die Gruppe um die Zeitschrift Wildcat oder die PDS: jeder betriebliche Protest wird überhöht, und sei er noch so beschränkt. Sogar im Lohnverzicht und in verdichteter Arbeit bei Volkswagen werden zum Beispiel „Momente von Arbeitermacht“ entdeckt. Diagnose von Ebermann/Trampert: „Eine gelungene Identifikation der Ausgebeuteten mit dem Betriebszweck.“ Und: „Wenn die Fähigkeiten und Bedürfnisse, die den Menschen antrainiert wurden, sie grausam handeln lassen, dann ist die Anbiederung an sie eine Bestätigung der Unfreiheit.“

In linken Kreisen ist es Mode geworden, zu behaupten, daß die Nationalstaaten sich auflösen. Belegt wird dies mit der Multinationalität oder Transnationalität der Konzerne. Ebermann/Trampert hingegen meinen, daß, ganz im Gegenteil, „globales Kapital nicht das Absterben der Nationalstaaten fördert“, sondern „den starken Staat als Basis“ benötige.

Menschen kleiden sich, konsumieren, tanzen, reisen, partizipieren an Kultur auf unterschiedliche Weise. Ihre Erscheinung ist fast unübersichtlich differenziert. Einige linke AutorInnen feiern die äußerliche Vielfalt als Beweis für die Existenz eines postmodernen, hedonistisch-freien Individuums, dem es zeitweise gelingt, der kapitalistischen Zwangswelt zu entfliehen. Gegen den Poptheoretiker Günter Jacob u.a. streiten Ebermann/Trampert für die Einsicht, daß im Kapitalismus kein kapitalismusfreier Raum besteht, sondern nur die Illusion von Freiheit. Da wird Jacob grobgestrickt was auf die Kappe gegeben: Erlaubt sei nur mehr „die Ausrichtung des Schirmes einer Baseballmütze nach vorn, zur Seite oder nach hinten“. Jugendbewegung gut und schön, doch sei es „ein Unterschied ums ganze“, ob eine Identifikation Leistungszwang und Konsumterror angreife oder ob sie „ihre Befehle aus den Marketingabteilungen der Konzerne“ erhalte.

Crashtheoretiker und Krisis- Autor Robert Kurz, früher Mitglied der stalinistischen MLPD, ist bei Sozialdemokraten wie Autonomen beliebt. Sein Fanclub mag, daß er ihm nichts an politischem Kampf abverlangt. Er sagt dem Kapitalismus seit Jahren den Zusammenbruch voraus – das deutsche Kapital habe sich an der DDR-Annexion überfressen. In Wirklichkeit ist dort ökonomische Konkurrenz wirksam ausgeschaltet worden; nur waren die Befriedungskosten Ost höher als erhofft. Das prophezeite Crash-Spektakel bleibt aus – es finden sich neue Märkte, Rohstoffe und Produkte.

Ebermann/Trampert unternehmen auch einen „Streifzug durch die Geschichte einer Stammeskultur“ mit Exkursen zu Luther und Wagner, Kant und Nietzsche: eine Lektion über die Entstehung des Deutschen Reichs, an dessen Anfang der deutsch-französische Krieg lag, deutschnationale Hetze und eben nicht eine gelungene bürgerlich-demokratische Revolution. Was ist überhaupt deutsch? fragen die Autoren und versetzen sich zurück in die 70er Jahre: „Noch vor 20 Jahren hätten viele Leute auf die Frage etwa so reagiert wie Friedrich Engels 1864, dem in Paris das Schleswig-Holstein-Lied in die Finger gekommen war.“ Damals habe Engels darüber an Marx geschrieben, daß er den Text zwar nicht mehr genau im Kopf habe, er aber etwa folgenden Eindruck auf ihn gemacht habe: „Meerumschlungen, stammverwandt, deutscher Zungen, deutscher Strand, brunstdurchdrungen ... halte stand, bis erklungen ... bleibe treu, mein Vaterland, so hieß dann der Dreck. Es ist ein schauderhaftes Lied, wert von Dithmarschern gesungen zu werden.“ (Trampert kommt aus Dithmarschen.) Heute hat das verteidigungswürdige „Vaterland“ seine Erbin in der „westlichen Zivilität“ gefunden. Deutschnationalen „Dichter und Denkern“ folgten Virtuosen des Bocksgesangs wie Botho Strauß und Antje Vollmer. Mit ihnen wird unter der Überschrift „Renaissance des völkischen Prinzips“ abgerechnet.

Was dem Buch jedoch fehlt, ist die Weiterentwicklung des ökologischen Anteils einer marxistischen Position. Die Autoren übersehen Möglichkeiten, die soziale mit der ökologischen Frage zu verknüpfen (was ihre Argumentation nur gestärkt hätte). Ein Beispiel: die Funktion gentechnisch manipulierter Massennahrung für die Verbilligung der Reproduktionskosten. Ebermann/Trampert kritisieren Auswüchse des Shell-Boykotts und seine Trittbrettfahrer wie Helmut Kohl zu Recht. Trotzdem bleiben Boykottaktionen gegen Großkonzerne, welcher Nationalität auch immer, richtig. Die Verseuchung der Nordsee durch Ölplattformen wird stofflich nicht belanglos, weil deutsche Mittelschichtökos unter Führung des Umweltkonzerns Greenpeace weiter bei Esso oder BP tanken.

Es schwächt die zutreffende Kritik an der nationalen Borniertheit eines Teils der Ökologiebewegung, wenn die Autoren zum Beispiel den Siemens-Boykott oder die Aktionen gegen die Bayer AG übersehen oder übergehen. Auch radikale Linke können sich ihre Symbole nicht immer aussuchen.

Dies ist kein Buch nur für grau gewordene Linke. Gerade junge Leute müssen sich heute ihr politisches Bewußtsein gegen Legionen angepaßter, resignierter oder zynischer LehrerInnen und Eltern erkämpfen, die dennoch frech mit linkem Label herumlaufen. Diesen jungen Linken bauen die Autoren eine Brücke zwischen dem politischen Erbe der späten 60er, der 70er, der 80er Jahre und heute. Ihr Buch unterstützt so die Rekonstruktion eines widerstandsfähigen linken Denkens.

Ebermann/Trampert: „Die Offenbarung der Propheten – Über die Sanierung des Kapitalismus, die Verwandlung linker Theorie in Esoterik, Bocksgesänge und Zivilgesellschaft“. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1995, 39 DM

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