Short Stories from America: Wie ein beliebiger Cowboy
■ Das verpfuschte Programm von Bill Clinton ist wie ein Drehbuch aus Hollywood
Auf den Kulturseiten der amerikanischen Zeitungen jagen sich die Anklagen und Vorwürfe, aber Regisseur Rob Reiner streitet alles ab. Sein neuer Film „Hallo Mr. President“ hat mit Clinton nichts zu tun. Nur weil Michael Douglas einen Präsidenten spielt, der seine liberalen Wahlkampfversprechen nicht einlöst und sklavisch den Meinungsumfragen folgt, die ihn ins konservative Lager drängen, orientiert sich Reiner doch noch lange nicht an dem, was derzeit im Weißen Haus abläuft. Nur weil die von Douglas gespielte Figur im Umweltschutz weich geworden ist und sich lieber als Verbrechensbekämpfer präsentiert, ohne aber andererseits entschlossen gegen den Schußwaffenbesitz vorzugehen; bloß weil er sich von der Rechten prügeln lassen muß, weil er nicht in der Armee war und die Frau seines Lebens eine eigene Politik verfolgt, können die Zuschauer doch nicht ernsthaft glauben, Reiner hätte das Washington von heute im Sinn.
Reiner ist ein Mann der Komödie: In „Harry und Sally“ ließ er die Schauspielerin Meg Ryan dem Kino zum erstenmal einen Orgasmus wegen Pastrami und Kartoffelchips vortäuschen. In „Hello Mr. Präsident“ sorgen für den Orgasmus die kulinarischen Besonderheiten der Präsidentenküche (in einer Wendung, die nicht gerade zu den Höhepunkten des Films gehört). Es besteht absolut kein Grund zu der Annahme, Reiner meine es mit dem neuen Film irgendwie ernst, selbst wenn eine oder zwei Figuren – vielleicht auch fünf oder sechs – direkt aus Clintons Stab übernommen scheinen. Und wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann fragen Sie doch Reiner selbst oder seinen Drehbuchautor Aaron Sorkin: Als die New York Times fragte, ob der Film bei Clinton „Anleihen“ mache, antworteten sie: „Keine Rede davon.“
Film- und Unterhaltungsautoren im ganzen Land regen sich über Reiners Dementi gewaltig auf. Aber ich glaube, ich sehe das richtiger: Die Leute dementieren immer, wenn sie in Wirklichkeit einen Job suchen. („Ich werde nicht als Präsident kandidieren“, sagte Perot, bis er es dann tat.) Am Ende von „Hello Mr. President“ tut Douglas das Richtige. Wie ein beliebiger Cowboy steht er allein, besteigt das hohe Roß der Moral und erlegt den korrupten Mob. Das tut er in einer Rede, in der er die Schußwaffenkontrolle verteidigt, dazu den Umweltschutz und die freie Rede, sogar das Verbrennen der Fahne als Ausdruck politischen Protests. Die Rede hat Tempo und ist bewegend – eine prima Bewerbung um den Job des Redenschreibers für den Präsidenten –, und gleichzeitig geht sie dem amerikanischen Kinopublikum ein wie Ahornsirup.
Das macht vielleicht Clintons Pressesekretärin Dee Dee Myers glücklich, denn wenn Reiner ihren Job in Washington übernimmt, kann sie sich endlich in Hollywood versuchen, wo die Industrie noch nicht ganz so marode ist. Mich allerdings macht die Vorstellung nicht ganz glücklich, daß Reiner sich nach einem Job für die Regierung umsieht. Nicht, daß ich seiner Befähigung zum Redenschreiben mißtraue. Diese Fertigkeit hat er im Kino bewiesen. Meine Sorge gilt eher der Wirtschaft unseres Landes.
Filme sind so ziemlich das einzige Produkt Amerikas, das sich noch verkauft; selbst Amerikaner kaufen sie. Sie bringen Dollars, Mark und Yen. Wir können es uns nicht leisten, daß unsere Filmtalente von Bord gehen. Unsere Regierung andererseits ist pleite. Es hat überhaupt keinen Sinn, dort noch Geld oder Talent zu investieren. Letzte Woche mußte Clinton den Fonds für die Beamtenpensionen anpumpen, um die Zinsen für die Staatsschulden aufzubringen. Mitte November legte der Kongreß die Regierung sechs Tage lang lahm, weil er sich mit Clinton nicht über den Etat einigen konnte und Washington kein Geld mehr hatte. Jetzt gilt erst einmal eine Übergangsregelung, aber im nächsten Monat könnten die Bundesbehörden schon wieder ohne einen Pfennig dastehen.
Damit geht es der Regierung so wie einem großen Teil der Wirtschaft – außer Kino und Rock 'n' Roll. Zwischen März 1994 und März 1995 sank das durchschnittliche Einkommen im Lande um zwei Prozent (inflationsbereinigt). Bei den Fürsorgeempfängern sank das Einkommen um drei Prozent, vor allem weil die Gesundheitsleistungen um acht Prozent gesenkt wurden. Im November wußte Merril Lynch zu melden, die Lohnsumme (Löhne plus Nebenleistungen) sei um drei Fünftel Prozent gestiegen, der niedrigste Zuwachs der letzten vierzig Jahre. Mitte November gab AT&T bekannt, man werde 77.800 Angestellten auf Management-Ebene Abfindungsangebote machen. Rob Reiners Einkommen ist im letzten Jahr nicht gesunken, auch seine Krankenversorgung wurde nicht eingeschränkt, denn Reiner arbeitet in Hollywood. Auf der ganzen Welt sind die Leute scharf auf sein Produkt. Er holt Millionen ins Land und stimuliert die einheimische Wirtschaft durch zusätzlichen Popcorn- und Cola- Umsatz. Die Leute sind bereit, für das Erlebnis zu zahlen, wie Meg Ryan in einem Restaurant einen Orgasmus vortäuscht. Sie haben aber keinen Pfennig übrig für einen ethisch hochstehenden Präsidenten im wirklichen Leben. Man soll dem Markt anbieten, was der Markt will. Rob, bleib in Hollywood! Dort steckt der Genius des Kapitalismus. Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen
von Meino Büning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen