Hängt ihn höher

■ Von der Kunst des Bilderhängens: ein Blick ins Gewusel beim Aufbau der Liebermann-Schau in der Kunsthalle

„Frau Han-sen, Frau Han-sen“, singt der Direktor durch die Hallen. Den Refrain kennt Frau Hansen schon: „Hasenkamp ist da!“ Tatsächlich: Schon stehen die Kerle der Spedition „Hasenkamp“ im Saal, rollen geheimnisvolle, hohe, weiße Kisten herein, Frau Hansen möge das mal eben abzeichnen, „die Lieferung aus München“. Endlich! Dorothee Hansen, die jüngste Kustodin der Kunsthalle, atmet auf. „Leihgaben aus der Pinakothek und von privaten Sammlern.“ Damit ist die Liebermann-Ausstellung bald komplett. Donnerstag müssen alle Kisten ausgepackt, alle Bilder gehängt sein. Aber nicht irgendwie: Um die richtige „Hängung“ der Kunst toben heftige Kämpfe; Kunsthistoriker, Museumsleute und Sammler geraten sich bei dieser Frage in die Haare. Es gibt ungeschriebene Gesetze und geschriebene Vorschriften. Hansen kennt sie auswendig. Aber letztlich, weiß sie, ist alles Gefühlssache.

Bzw. Nebensache. Welchen Besucher interessiert schon, wie die Bilder hängen? Wahrscheinlich jeden, sagt die Kustodin. Denn die Frage der Hängung sei stets auch ein gewichtiges inhaltliches Statement des Museums. Wenn nicht gar eine Frage von kunstphilosophischer Tiefe. Allein das Problem, in welcher Höhe der Nagel eingeschlagen wird: „Man soll zur Kunst nicht aufschauen müssen“, lautet z.B. das Credo des Hamburger Kunsthallenchefs Uwe Schneede – also: in Augenhöhe hängen. Andererseits: „Man soll sich vor der Kunst auch nicht verbeugen müssen“, wie Hansen selbst erklärt. Die Kompromißlinie liegt derzeit bei „einsfünfzig Bildmitte“. In dieser Höhe werden nun auch Liebermanns Landschaften und Leute aufgehängt.

Aber wie dicht? Wie nah dürfen sich die guten Stücke auf die Pelle rücken? Fragend lehnen die ausgepackten Bilder an der Wand; die eingepackten, die sich in ihren weißen Kisten noch 24 Stunden aufwärmen müssen, quengeln bereits im Hintergrund herum. Feste Maße für die Abstände? Keine. „Möglichst viel Freiraum für die Bilder“, sagt Hansen. Damit weicht sie erheblich von der Traditionslinie der großen, alten Museen ab. Bis unter die Decke waren die Jahresschauen der Akademien früher gepflastert. Noch in den Salons der Jahrhundertwende hingen die Bilder dicht an dicht, Rahmen an Rahmen, alles natürlich mehrstöckig, bis unter die Stuckdecke. „Kunst als Dekoration“, sagt Hansen über die damalige Form der Inszenierung – aber „nur etwas für Kunstkenner“. Für den gemeinen Besucher seien solche Bildermassen „doch tödlich“. Sie hat einen hochrangigen Kronzeugen für ihre Methode: Gustav Pauli, Gründungsdirektor der Bremer Kunsthalle. „Wir müssen wissen, welche Last wir dem Besucher aufladen“, mahnte der schon 1928; „wir müssen wissen, daß er frisch und empfänglich eintritt, um erschöpft und verwirrt von dannen zu ziehen.“

Also: Wieviel Bilder pro Quadratmeter? Hansen und Kollegin Anne Röver schieben die holländischen Landschaften hin und wieder her. „Bißchen mehr Luft!“, Hansens Standardsatz. Vier Gemäl Hansens Standardsatz. Vier Gemäde sollten eigentlich an der Wand im ersten Ausstellungsraum hängen, schön thematisch gruppiert: „Beobachteter Alltag, Holland 1880-1900“. Alles Prachtstücke. Aber: zuviele. Erst beim Auspacken stellte sich heraus, daß die stolzen Leihgeber ihre Liebermänner in dicke Goldrahmen gefaßt haben. Das konnten die Bremer nicht ahnen, als sie ihre Ausstellung planten: Kein Katalog bildet die Rahmen mit ab; die wirklichen Formate lassen sich nur schätzen. Und nun kommen sich die Meisterwerke mit ihren Prunkrahmen gefährlich nahe. „Eins muß ich wohl noch rausnehmen“, ahnt Hansen. Am nächsten Tag ist das „Altmännerhaus in Harlem“ verschwunden.

Liebermann selbst hätte beifällig genickt. Wie seine Bilder gehängt werden, das hat den deutschen Impressionisten zeitlebens beschäftigt. Als Mitbegründer der Berliner Sezession brach er entschieden mit der alten Sitte der Kunstbepflasterung: Während die Akademie immer noch rund 3000 Bilder an ihre Wände tapezierte, zeigte die Sezession nur deren 200. Auch als Zeichen, daß die große Zeit der ausladenden Schlachten- und Historiengemälde vorbei war. Liebermanns Impressionen, sagt Hansen, „sind ja keine dekorativen Bilder; jedes einzelne ist wichtig“. Und braucht Luft zum Atmen.

Also: wenig Bilder, dafür alle schön symmetrisch aufgehängt. Nein, auch das nicht; sollen die Besucher denn einschlafen? „Die beiden großen Bilder nicht in der Mitte nebeneinander“, schlägt Hansen den Kolleginnen vor; „das ist doch total langweilig.“ Lieber das kleine, heitere Strandleben dazwischen hängen. Direktor Paulis Geist rotiert wahrscheinlich im Grabe: Viel zuviel Unruhe, schrieb der alte Herr über die gerade aufkommende Mode der asymmetrischen Wandaufteilung. Folge: „Regungen des Mißbehagens“ beim geschätzten Publikum. Hansen aber liebt die Abwechslung und hofft, daß die Besucher dieses zumindest unbewußt wahrnehmen: „Man muß doch verhindern, daß die Leute einfach so durchmarschieren.“

Dafür soll auch die Wandfarbe sorgen. Jedem Raum, jedem Sujet hat Hansen einen eigenen Pastellton zugeordnet. Liebermanns Seestücke werden vor himmelblauem Grund drapiert; die holländischen Häuser vor warmem Ziegelrot. Was sagen die Regeln des Ausstellungshandwerks dazu? Ausnahmsweise nichts – alles ist möglich, alles schon mal ausprobiert worden. Rot, grün, gelb, blau und sogar pechschwarz haben Museumsleute ihre Wände im Lauf der Jahrzehnte gestrichen. Manchen Expressionisten sah man gar vor bewegt gemusterter Tapete prangen. Lange Zeit war Weiß der Renner, als vermeintlicher Garant musealer Objektivität. Von alledem blieb nur die vage Idee, daß die farbgesättigten Schinken alter Meister vor moosgrünem oder bordeauxrotem Wandbehang besonders gut kommen. Der Rest ist Geschmackssache. In Bremen geben halt Liebermanns Lieblingsfarben den guten Ton der Ausstellungswände vor.

71 Gemälde, 27 Pastelle und werweißwieviel Skizzen müssen am Schluß an den bunten Wänden hängen. Und schon rollt ein weiterer „Hasenkamp“-Container mit neuen Liebermännern an. Aber Hansen hat alles im Blick und im Griff. Und wenn am Samstag eröffnet wird, will sie sogar das Bremer „Altmännerhaus“ untergebracht haben. Da muß eben noch ein bißchen Luft geschaffen werden. Thomas Wolff