■ Querspalte: Kichererbsen gegen Kanzler
Puh, das war knapp. „Briefbombenterror, immer teuflischer“, schlagzeilte Bild und war dabei: „Sie sollte Kohl töten, ihn zerfetzen.“
Bis dahin freilich wär's ein weiter Weg gewesen. Was da im umlandberlinischen Hennigsdorf in der Postverteilungsanlage als „Briefbombe“ explodiert sein soll, hätte exakt 594 Eisenbahnkilometer bis ins Bundeskanzleramt zurücklegen müssen. Mal angenommen, daß es nicht jede Woche wie in Garmisch zum Zugunglück kommt, wäre mit dem Kohl-Fetz spätestens in der Pförtnerloge des Kanzlergartens Schluß gewesen. Schließlich weiß jeder Bonner, daß die Bundeskriminalbullen die Kanzlerfanpost nicht immer, aber immer öfter mit einer MP-Salve aus sicherer Entfernung öffnen.
Aber nix da. Kein Bumm in Bonn, keine Diadochenkämpfe um des Dicken Thron, keine Kondolenzpost, die den Munitionsetat des BKA gesprengt hätte. Was die Berliner Zeitung mit sorgenvoller Miene als Anschlag auf unser Gemeinwesen bedenkentrug, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als gemeiner Kichererbsenanschlag. Witzbolde also? Gar die Erben Walter Sparbiers? Oder geltungssüchtige Triebtäter? Womöglich die Seminararbeit einer ErstklässlerInnengruppe der Antiimperialistischen Zellen (AIZ), wie es die Berliner Zeitung nahelegt?
Noch tappen die professionellen Ermittler im dunkeln. Einen Bombenhinweis auf die tatsächlichen Hintergründe lieferte dagegen einmal mehr die Nachrichtenagentur Reuter. „Hennigsdorf (korrekt)“ heißt es in der „korrigierten“ Meldung 4 pl 168 von gestern morgen. Unkorrekt hieß es noch Henningsdorf. Welch Schmach! Die ganze Post-Wende- Zeit lang haben die West-Gazetten die ehemalige Stahlarbeiterstadt westlich von Spandau beim falschen Namen genannt. Ein Motiv wäre das schon für einen richtigen Henni(n)gsdorfer: sich nach all den Jahren der Kränkung-West mit einer Kichererbsenattacke gegen dessen Urheber mal richtig wichtiggeschrieben zu Wort zu melden. Uwe Rada
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