: Ariadnefaden und roter Teppich
■ Im Museum Altona setzen Künstlerinnen „Frische Bezüge“
Blutrot schlappt ein endloses Band die Freitreppe herunter, und die Vitrinen sind mit Laken weiß verhängt: Vier Künstlerinnen setzen Frische Bezüge im Altonaer Museum (so der Ausstellungstitel). Mit dem sich auf der Haupttreppe schlängelnden Stoff gibt Tonia Kudrass einen ironischen Kommentar zum Museum als neues Heiligtum des Industriezeitalters. Um einen Meter pro Stunde verlängert sich der rote Schal, der aus einer Maschine am obersten Treppenabsatz quillt. Wie in dem Märchen Der süße Brei präsentiert sich überbordender Überfluß und erzeugt eine Kreuzung von besucherfreundlichem Ariadnefaden und herrschaftlichem roten Teppich. Dabei ist die scheinbar sinnlose Apperatur eine noch heute benutzte Strickmaschine von 1915, selbst bereits ein museumsreifes Denkmal der Industrialisierung.
Schlichter und gleichzeitig monumentaler ist die Intervention von Anette Venebrügge. In Umkehr der Sockelfunktion hat sie einen alten, über sieben Meter langen Altländer Grabenkahn mit weißem Styropor ummantelt. Vom Boot bleibt so nur eine lanzettförmige, plastische Negativ-Form übrig. Gegen das dunkle, historische Holz steht das weiße, industrielle Verpackungsmaterial der High-Tech-Zeit: Schutz beim Transfer durch die Zeiten und monströses Grab zugleich.
Am weitaus aufwendigsten verwandelt Sabine Dibbern die Halle der Bauernhaus-Modelle. Mit 250 Meter Stoff verhängte sie 28 Glasvitrinen und verwandelte sie in das plastische Abbild eines weißen Containerdorfs. Nur noch kleine Guckfenster ermöglichen den Vergleich heimischer Architektur mit den gipsernen Modellen des multikulturellen Dorfes von Kasbah, Pueblo, Trullo und anderen internationalen Wohnformen, die auf der Fensterbank plaziert sind. Mit ephemeren Schattenrissen auf schmalen weißen Leinwänden unter jeder der 27 Gallionsfiguren bringt Ulrike Andresen die menschliche Dimension in die von Unterlicht und Schatten überhöhte Götterrunde der Gallions zurück. Die durch Zeit, Funktion und Mythos entrückten Figuren müssen ihre Haltungen mit denen der grau schablonierten Alltagspersonen der 50er Jahre messen.
Mit aktueller Kunst in historischen Sammlungen begann in den 80er Jahren das Museum für das Fürstentum Lüneburg. Seitdem belegen diese Konzepte, daß die Vieldeutigkeit aktueller Kunst im Rahmen eines nicht nur selbstbezogenen Museums bestens aufgehoben ist und zugleich für interessante neue Blickwinkel auf die alten Sammlungen sorgt. Hajo Schiff
Altonaer Museum, Museumsstr. 27, bis 23. 4.
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