„Ein einziges Südostasien ohne Atomwaffen“

■ Asean-Länder für Erweiterung des Verbandes und Handelsliberalisierung

Tokio (taz ) – „Ein einziges Südostasien“ wollen die zehn Regierungschefs der Region schaffen, die gestern erstmals zu einem Gipfeltreffen zusammenkamen. In Bangkok unterzeichneten sie einen Vertrag, der die Region zur „atomwaffenfreien Zone“ erklärt, und versprachen, ihren Handel zu liberalisieren.

„Die Welt sieht unsere Region als den wirtschaftlichen Motor, der die einbrechende Weltwirtschaft wieder anschmeißen soll“, kommentierte die thailändische Nation das Ereignis. Während die Regierungschefs der sieben Asean-Staaten (Indonesien, Brunei, Malaysia, Singapur, Thailand, Philippinen und Vietnam) mit ihren Kollegen aus Laos, Birma und Kambodscha noch an ihrer Abschlußerklärung feilten, rauften sich Diplomaten in Washington, Peking und Tokio die Haare: Den beiden Atommächten Amerika und China ging der Vertrag über eine atomwaffenfreie Zone zu weit, da er die Seerechte für Atom-U-Boote zu begrenzen schien. Und in Tokio sorgte man sich über den zunehmenden Einfluß Südostasiens auf die regionale Politik.

Ungeachtet der diesjährigen Bedenken in Tokio und Peking luden die zehn südostasiatischen Staatschefs die Führer Japans, Chinas und Südkoreas zu ihrem bereits fürs nächste Jahr vereinbarten Folgetreffen ein. Gegen ein exklusives Treffen der asiatischen Regierungschefs hatte in der Vergangenheit vor allem Washington protestiert – ohne Erfolg.

Die in Bangkok anwesenden Regierungschefs vertreten eine Region, die mit 450 Millionen Einwohnern mehr Menschen umfaßt als die Europäische Union und im vergangenen Jahrzehnt ein durchschnittliches Wachstum von sieben Prozent erwirtschaftete. Der Staatenverband Asean, der zum Gipfel in Bangkok einlud, will bis ins Jahr 2.000 auch Laos, Kambodscha und Birma aufnehmen. Allerdings warnte Singapurs Premierminister Goh Chok Tong vor allzu großer Euphorie: „Die Europäer bauen heute ihr gemeinsames europäisches Haus. Bis zur Errichtung eines gemeinsamen Familienheims in Asien mögen noch 50 oder 100 Jahre vergehen.“

Probleme auf dem Weg zu der am Freitag verkündeten „südostasiatischen Gemeinschaft“ gibt es genug: Malaysia und Thailand stehen kurz vor einem Fischereikrieg, nachdem die malaysische Küstenwache vor kurzem zwei thailändische Fischer erschoß, die illegal in malaysischen Gewässern fischten. Indonesien widerrief in dieser Woche sein Versprechen, den Handel mit Reis, Weizen und Nelkenöl zu liberalisieren – der Sohn von Staatspräsident Suharto ist Besitzer der größten Nelkenölfabrik des Landes.

In Indonesien jährte sich in dieser Woche auch der Tag der Annexion Ost-Timors zum 20. Mal, was die Hongkonger South China Morning Post veranlaßte, erneut über „Asiens versteckten Holocaust“ zu berichten. Noch lauter ist die Menschenrechtskritik am Militärregime in Birma, der sich die Asean- Staatschefs freilich nicht anschließen. Reicht es aber für eine funktionierende Staatengemeinschaft aus, lediglich auf politischer Nichteinmischung zu bestehen, wie es die Regierungschefs in Bangkok gestern taten?

Noch gravierender sind die wirtschaftlichen Unterschiede in der Region. Vietnam gehört mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 187 Mark pro Jahr zu den ärmsten der Welt. In Singapur liegt es bei 27.840 Mark, also 150mal höher.

In Bangkok erklärte sich die Aufbruchstimmung der Regierungschefs nicht zuletzt durch die Vergangenheit: Bis zur Gründung der Asean im Jahr 1967 hatten militärische Feindseligkeiten die regionale Politik dominiert. In den folgenden Jahrzehnten dominierte durch den Indochinakonflikt erneut die Macht der Gewehre. Erst heute scheint sich der ursprüngliche Asean-Auftrag, nämlich Frieden und Stabilität in der Region, zu verwirklichen. Einig sind sich die Regierungen außerdem, daß Wirtschaft vor Politik geht. Von einer Demokratisierung der Region hatten auch die Gründungsväter nie geträumt. Für Anfang März hat Asean erneut zu einem Gipfel nach Bangkok geladen, dann unter Beteiligung aller Regierungschefs der EU sowie jener Japans, Chinas und Südkoreas. Georg Blume