: Echte Chansons sind Seelenstriptease
■ Eine ganz preußische Hommage an Edith Piaf von Eva Other in der Brotfabrik
Am vergangenen Dienstag wäre Edith Piaf 80 Jahre alt geworden – Anlaß für die Chansonette Eva Other, mit den Liedern der französischen Sängerin einen ganzen Abend zu gestalten. „Treten Sie ein, Milord“ hatte sie ihr Programm genannt: 120 Minuten mit berühmten Gassenhauern wie „L'accordéoniste“, „La vie en rose“ oder „Milord“ auf der umgebauten Bühne der Brotfabrik.
Die Latte lag also ziemlich hoch. Denn selbst wer den Vergleich mit der 1963 gestorbenen Piaf nicht will, wird sich kaum der Erinnerung an die Stimmen von Patricia Kaas, Ute Lemper oder Anne Bennent entziehen können. Dafür kann Eva Other zwar nichts, aber dieses Risiko hätte ihr bewußt sein müssen. So war ihr Scheitern fast schon abzusehen.
Bei einem solchen Programm sind viele – und höchst unterschiedliche – Möglichkeiten des Gestaltens denkbar: Anne Bennent kann sich in ihrem Abend „Pour Maman“ stets auf ihre atemberaubende Bühnenpräsenz verlassen, auf ihre Kindfrau-Ausstrahlung und ihre seelenvolle Weltferne. Ute Lemper hingegen gibt gern den Vamp im schwarzen Kleidchen, der sich à la Michelle Pfeiffer lasziv auf dem Flügel räkelt, und die Elsässerin Patricia Kaas spielt das kleine, scheue Mädchen, das seine Stimme in den verrauchten Kneipen Saarbrückens gestählt hat.
Doch Eva Other ist nichts von all dem: Ihre Stimme ist klein, und was ihr fehlt, sind Technik und Training. Sie klingt nicht verrucht, sie versucht es nur. Und ihr Körper verspricht keinen Sex, sondern ist gehemmt, unbeweglich und brav in einen schwarzen Anzug gehüllt. Eva Other stellt aus, ahmt nach, müht sich redlich – und das ist deutlich zu sehen: Erst singt sie nur mit erhobenem Zeigefinger, doch im Laufe ihrer Vorstellung packt sie auch noch alle anderen Gesten aus der Klamottenkiste der Hitparade aus.
An der Umgebung kann es nicht liegen, daß diesem Abend die Gänsehaut fehlt: Erst im Oktober war der Bühnenraum der Brotfabrik umgebaut worden, zu einem blauen Saal mit goldenen Leuchten. Kabarett-Atmosphäre sollte das schmale Viereck atmen, so wollte es Boris Steinberg, der neue Leiter des Kunst- und Kulturzentrums: mit Tischen und Stühlen, mit Bewirtung und kleinen Emporen. Maximal 60 Gäste finden jetzt noch Platz – und Eva Others Hommage an Edith Piaf hatte den Raum gut gefüllt.
Doch was diesem Abend fehlt, ist vor allem Wahrhaftigkeit: Warum nur klingt es wie auswendig gelernt, was Eva Other ihrem Publikum erzählt? Zwar singt sie von der Liebe, von den Männern, von den Straßenhuren – aber alles bleibt klinisch sauber. Echte Chansons sind immer auch Seelenstriptease, sind Exhibitionismus. Und wer sie singt, macht sich verwundbar. Doch Eva Other ist nicht verletzlich, ist eher Grande Dame: preußisch diszipliniert und beherrscht.
Lob gebührt hingegen dem Mann am Akkordeon, Heiner Frauendorf. Mit seiner nuancierten Begleitung verhalf er dem Abend zu musikalischen Affekten, die Eva Other mit ihrer Stimme nicht bieten konnte. Und so war das Anliegen der beiden, Edith Piaf zu ehren, zwar lobenswert, die Realisation jedoch eher kläglich. Kein guter Abend, aber vielleicht gut gemeint. Margot Weber
„Treten Sie ein, Milord“, bis 22.12., 21 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weissensee
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