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Mütter werden schlecht behandelt

■ betr.: „Absturz nach dem Mutter glück“, taz vom 7. 12. 95, „Jede Menge Gründe für Wochenbett psychosen“, Leserinnenbrief, taz vom 18. 12. 95

Endlich wird das Tabuthema „Mutterglück“ zur Sprache gebracht, ein Thema, das, wie ich meine, in die taz hineingehört und das viele LeserInnen betreffen dürfte. Warum muß es nur gleich die (Wochenbett-)Psychose als Einstieg in eine mögliche Diskussion sein? Reichen die sicher weit verbreiteten Depressionen oder die alltäglichen negativen Erfahrungen von Eltern nicht aus? [...]

Im Oktober bin ich zum ersten Mal Mutter geworden, eine in jeder Beziehung umwerfende Erfahrung. Als Mitdreißigerin bin ich in den Siebzigern und Achtzigern in dem Glauben aufgewachsen, die Versorgung und gesellschaftliche Akzeptanz der Mütter sei – im Vergleich zu den früheren Generationen – wesentlich besser geworden. Ich muß gestehen, daß ich als Studentin und im Beruf, also zu Zeiten, in denen ich vollwertiges Mitglied der Leistungsgesellschaft war, nur die durch die Medien verbreiteten Strahlebilder wahrgenommen habe.

Als ich mich dieses Jahr für ein Kind entschied, wußte ich, daß sich mein Leben radikal ändern würde. Mit wachsender Erschöpfung und Hilfebedürftigkeit in den Wochen nach der Geburt, mußte ich leider erfahren, daß zu den physischen, psychischen und finanziellen Belastungen auch noch die fehlende Akzeptanz im Alltag hinzukam. Mütter werden, schlicht gesagt, einfach schlecht behandelt!

Es begann bei mir damit, daß ich nach der „frohen Botschaft“, also im Mutterschutz, von meinem Arbeitgeber unter Druck gesetzt und von Kollegen als Neidobjekt behandelt wurde. Nach der Geburt meiner Tochter mußte ich unter dem Frust des Krankenhauspersonals leiden; im Alltag treffe ich auf mangelnde Hilfsbereitschaft in der Öffentlichkeit, Maßregelungen und Besserwissertum der älteren Generationen und fehlende Solidarität unter den Müttern.

Gerade der letzte Punkt erstaunt mich sehr: die Vereinzelung und gegenseitige Reglementierung. Über Probleme zu sprechen, geschweige denn über Depressionen, ist ein Tabu, jedenfalls in der kleinstädtischen und bürgerlichen Atmosphäre, in der ich lebe, und die ich als typisch für das aktuelle konservative Klima in Deutschland betrachte. Der Trend zum Rückzug ins Private und damit die Verlagerung von gesellschaftlichen Aufgaben (hier: Kindererziehung) dauert an. Die Regierung schmückt sich mit der Mär vom dreijährigen Erziehungsurlaub, der in der Realität bei wachsender Arbeitslosigkeit und Besserstellung der Männer undurchführbar ist.

Ich habe viele jüngere Mütter mit bester Ausbildung kennengelernt, die dieses System akzeptieren. Selbstverwirklichung durch Kind und Beruf ist ein Streitthema. Die „gute“ Mutter fördert vor allen Dingen das Kind rund um die Uhr und bis zur Selbstaufgabe, stellt keine Ansprüche und ist keine ernstzunehmende Diskussionspartnerin, weil kein vollwertiges Mitglied der Leistungsgesellschaft.

Diese Schicksalgläubigkeit und mangelnde Solidarisierung macht mich traurig und wütend. Carmen Kippels, Königswinter

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