piwik no script img

Geld ist mal Feuer und mal Feuerlöscher

■ Schweizer haben erstmals Angst vor reichen Anlegern. Teil 2 der taz-Serie übers Geld

Hannover (taz) – Tempel des Geldes sind sie, die wuchtigen neoklassizistischen Bauten von Bankgesellschaften und -vereine, die den Weg vom Zürcher Hauptbahnhof zum Paradeplatz säumen. Sie signalisieren Solidität und Tradition: keineswegs protzig, langgestreckt, fünf oder sechs Stockwerke hoch mit angedeuteten Säulen an der Fassade oder klassischen Statuen, die scheinbar das Dach tragen – die Schweiz als sicherer Hafen des Geldes. Das Angebot wird wahrgenommen. Unter den zehn Reichsten des statistisch reichsten Landes der Welt sind die Wahl-Schweizer mit eidgenössischem Steuerdomizil in der Mehrheit. Die Multimilliardäre stammen aus Deutschland, den USA, Schweden oder Südafrika und nennen Tetra Pak, C&A, den Metro- Handelskonzern, Rothmans, Cartier oder ein unmögliches Möbelhaus ihr eigen.

Im einem richtigen Tempel, dem der Artemis in Ephesos, präsentierte der Philosoph Heraklit vor 2.500 Jahren sein Hauptwerk der Öffentlichkeit. Damals hatte die noch junge Erfindung der geprägten Gold- oder Silbermünze in den griechischen Stadtstaaten eine erste Geldwirtschaft hervorgebracht. Und die Erfahrung, daß alles gegen eines zu tauschen war, ließ bei den alten Philosophen die Idee wachsen, daß „weder einer der Götter noch der Menschen diese Welt schuf“, sondern alle Dinge durch ein Prinzip, einen Urstoff, hervorgebracht werden. Heraklit, der Dialektiker unter ihnen, nannte seinen Urstoff Feuer, „ewig lebendiges Feuer“. Für ihn wurde „alles gegen Feuer und das Feuer gegen alles ausgetauscht wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren“. Der dunkle Grieche hatte seine Idee vom Urstoff alles Seienden dem Kreislauf des schnöden Mammons abgeschaut. Der Tempel der Artemis in Ephesos, eines der Sieben Weltwunder der Antike, war im übrigen auch ein Schatzhaus: Der Hauptpriester vergab Kredite. Wir würden dieses Weltwunder eine Bank nennen.

Heute, am Ende der Epoche des Geldes, bergen dessen Tempel kaum mehr wirkliche Schätze, auch die in der Schweiz nicht. Materiell gesehen besteht auch das Konto eines Wahl-Schweizer Multimilliardärs nur aus kleinsten magnetischen Veränderungen im Speicher des Bankcomputers. Der Rest ist gesellschaftliches Übereinkommen oder besser pures Privileg – von der Staatsgewalt garantiert, die im Zweifelsfall dafür sorgt, das der Speichereintrag tatsächlich den Zugriff auf alle wirklichen Reichtümer der Welt öffnet. Inzwischen ist allerdings selbst den Schweizern die Anhäufung dieser Art immateriell-materiellen Reichtums in ihrer Alpenrepublik nicht mehr geheuer. Mit Herannahen der Euro-Währung, so fürchten sie, werden immer mehr gutbetuchte EU-Bürger ihre Anrechte – auf von weniger Betuchten noch zu produzierende Güter – in der Schweiz in Franken eintragen lassen. Dadurch werde in den Jahren 1998 und 1999 der Kurs des Franken stark anziehen. In einen deflationären Strudel drohe dieser superharte Franken die Schweiz zu reißen, klagte jüngst das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz. Und die Ingredienzien dieser Krise klingen dem Bundesbürger durchaus bekannt: hohe Arbeitslosigkeit, Verlagerung der Produktion ins Ausland, sich häufende Kreditprobleme – natürlich alles bei kaum steigenden Verbraucherpreisen.

Dem Dunklen von Ephesos war das Geld einst Vorbild für das alles bewegende „lebendige Feuer“. Heute schützt ein starkes Geld eingetragenen Reichtum vor dem Verfall und ist volkswirtschaftlich vor allem eines: ein Feuerlöscher. Zwischen den 200 reichsten Schweizern, die Bilanz regelmäßig zum Jahresende auflistet, findet sich unter den wenigen Frauen übrigens auch eine, die ihr Geld nicht ererbt, sondern ersungen hat: Tina Turner, wohnhaft in Zürich, geschätztes Vermögen 200 bis 300 Millionen – Schweizer Franken, versteht sich. Jürgen Voges

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen