: "Ohne Stabilität gibt es keine Union"
■ Bundesbank-Direktoriumsmitglied Helmut Schieber: Warum die Stabilität nach Vorbild der Bundesbank für Europa so wichtig ist
taz: Herr Schieber, 1999 ist es vorbei mit der D-Mark. Dann soll sie dem Euro Platz machen. Fast 50 Jahre lang haben die Deutschen mit ihrer Mark gute Erfahrungen gemacht. Wieso sollen sie jetzt auf das gute Stück verzichten?
Helmut Schieber: Der Grund ist in dem politischen Willen zu sehen, die europäische Einigung weiter voranzutreiben. Der europäische Binnenmarkt ist erst komplett und funktionsfähig, wenn es auch eine einheitliche Währung gibt. Dadurch werden Kosten gespart, Wechselkursschwankungen spielen keine Rolle mehr.
Und was hat der normale Bürger davon?
Wenn die Voraussagen eintreffen, dann wird sich die verbesserte Integration des Marktes in höherem Wachstum und damit höherer Beschäftigung niederschlagen.
Das glaubt Ihnen doch keiner mehr. Zwei Drittel der Deutschen stehen der Währungsunion skeptisch gegenüber, 45 Prozent lehnen sie laut einer Infas-Analyse komplett ab.
Der Bevölkerung muß erst einmal klar werden, was überhaupt geplant ist. Den Bürgern muß deutlich gemacht werden, daß keine Währungsreform wie 1923 und 1948 beabsichtigt ist, sondern eine Währungsunion. Das heißt, die Kaufkraft und die Ersparnisse bleiben unberührt.
Viele fürchten heftige Währungsturbulenzen beim Übergang in die Währungsunion. Wie erklären Sie den Leuten, daß sie keine Massenflucht in den Schweizer Franken anzutreten brauchen?
Die Frage, wie die Märkte reagieren, ist sicher noch eines der am wenigsten geklärten Probleme. Um Währungskrisen zu vermeiden, darf man aber jedenfalls keinen Zweifel daran lassen, daß man nur mit solchen Ländern in die Währungsunion startet, die zu 100 Prozent die Konvergenzkriterien von Maastricht erfüllen. Auf den Märkten würden Sie nur Geld verlieren, wenn Sie gegen einen wirklich überzeugenden Kandidaten spekulieren.
Nehmen wir an, es ist 1998, und die Aufklärungskampagne hat nicht gefruchtet. Soll dann eine Volksabstimmung durchgeführt werden, wie Briten-Premier John Major fordert?
Der Maastricht-Vertrag, der übrigens im Bundestag fast einstimmig gebilligt worden ist, sieht eindeutig keine Volksabstimmung vor.
Vor allem die Südeuropäer haben keine Chance, in die Währungsunion hineinzukommen. Zerreißt der elitäre Club die EU?
Wir haben doch auch jetzt schon konzentrische Ringe um den europäischen Kern herum: Länder, die zu den Kernländern der Union zählen, Länder, die mit der Erfüllung der Binnenmarktkriterien noch nicht soweit sind. Wir haben an der Peripherie Länder, die einen Aufnahmeantrag gestellt haben, und Länder, die Assoziierungsabkommen mit der EU haben.
Es ergeben sich dennoch handfeste wirtschaftliche Spannungen – wie der Absturz der Lira, als Finanzminister Theo Waigel im Oktober ganz zutreffend bemerkte, daß sich Italien nicht für die Währungsunion qualifiziert.
Es ist unbestreitbar, daß der Weg, den Italien gehen muß, noch schwierig ist. Aber ein gegebenenfalls unterschiedliches, von den Stabilitätsfortschritten abhängiges Integrationstempo wurde gewollt von den Vätern des Maastrichter Vertrags – zu denen auch die Italiener gehören.
Wenn das deutsche Haushaltsdefizit nicht schrumpft, dann wird es womöglich sowieso nichts mit der Währungsunion – warnt der FDP-Finanzexperte Otto Graf Lambsdorff.
Man muß sagen, daß wir uns in diesem Jahr alle getäuscht haben. Wir haben erwartet, daß unsere Defizitquote deutlich besser aussieht, als das jetzt am Ende des Jahres der Fall ist. In Deutschland ist die Konsolidierung des Haushalts noch keineswegs gelaufen.
Selbst die Kernländer Deutschland und Frankreich haben also Schwierigkeiten, die Aufnahmebedingungen zu erfüllen. Das Konzept der Europäischen Währungsunion geht doch offenbar komplett an der Realität vorbei.
Das meine ich nicht. Man muß die Sache umgekehrt sehen. Eine Währungsunion ohne die Gewährleistung von Stabilität hat keine Chance.
Im Klartext: Dann lieber gar keine Währungsunion?
Ja, ohne Einhaltung der Stabilitätskriterien keine Währungsunion. Denn dann sind wir besser dran mit dem jetzigen System, in dem die Bundesbank mit der Stabilität der D-Mark einen Anker für die anderen Währungen bildet.
Die Kriterien für die maximale Verschuldung und das Haushaltsdefizit wurden so hart formuliert, daß sie derzeit nur Deutschland und Luxemburg einhalten können. Soll die Währungsunion so hintenherum verhindert werden?
Keineswegs. Ich meine nicht, daß die Bedingungen zu hart sind. Wenn ich bedenke, was allein die geforderte Höchstgrenze von 3 Prozent Haushaltsdefizit und 60 Prozent Schuldenstand für die Zukunft eines Volkes bedeutet, welche Belastung durch Zinszahlungen, dann stellt sich doch die Frage, ob die Kriterien von Maastricht wirklich hart sind.
Der Maastricht-Vertrag legt eine ganz einseitige Betonung auf die Finanzpolitik. Nun soll aber die Währungsunion angeblich der Wohlfahrt aller dienen.
Eine solide Finanzpolitik sollte man nicht nur mit dem Maastricht- Vertrag begründen. Sie ist notwendig auch und gerade im Interesse jedes einzelnen. Es gibt genügend Beispiele von Ländern, die durch eine unsolide Finanzpolitik in der Vergangenheit in eine fast unlösbare Situation geraten sind. Heute müssen sie mit härtesten sozialen Spannungen kämpfen.
Das Soziale kommt aber nirgends vor. Warum wurde denn zum Beispiel keine Höchstquote für Arbeitslosigkeit vorgeschrieben als Voraussetzung dafür, daß sich ein Land eine strenge Ausgabenbegrenzung überhaupt leisten kann?
Die Ursachen der heutigen Probleme liegen eindeutig in strukturellen Verkrustungen der Märkte, in Überregulierung und anderen Standortproblemen, nicht in der Geldpolitik. Mit einer geldpolitischen Lockerung kann man also keinesfalls das Beschäftigungsproblem in Europa dauerhaft lösen.
Die Einsparungen, die die französische Regierung ohne Rücksicht auf Verluste betreibt, sind Ihrer Auffassung nach also ganz richtig – egal wie viele Menschen dort arbeitslos sind?
Natürlich muß man mit ganz großem Nachdruck an der strukturellen Arbeitslosigkeit arbeiten. Dazu sind tiefe Eingriffe in das Tarifrecht und die sozialen Nebenkosten notwendig. Und auch gegen die Überregulierung und Überbürokratisierung muß etwas getan werden. Damit bekommt man den Rücken frei für die vollkommen unumgängliche Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Und das sehen heute im Grunde auch alle Politiker ein.
Wohl nicht alle. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder findet, ein verschärfter Sparkurs zur Erfüllung der Konvergenzkriterien sei konjunkturpolitisch nicht zu verantworten. Sollte man deshalb die Währungsunion nicht besser verschieben?
Der 1. 1. 1999 ist im Vertrag von Maastricht als letzter Termin festgelegt, und davon haben wir auszugehen. Wir sollten auch deswegen an diesem Termin festhalten, gerade weil er Druck in Richtung einer finanzpolitischen Konsolidierung ausübt. Und warum warten wir nicht einfach ab, bis die Entscheidung über die endgültige Einführung der gemeinsamen Währung im Jahr 1998 ansteht? Wenn man dann erst einmal das Bild hat, wer an der Union teilnehmen kann, dann kann man die weiteren Konsequenzen überdenken. Ich halte deshalb die ganze Diskussion um eine Verschiebung für verfehlt.
Noch 1990 äußerte sich die Bundesbank skeptisch. Die Vorgänge in der früheren DDR würden „die Konsequenzen einer Währungsunion bei deutlich unterschiedlichem Produktivitätsniveau“ zeigen. Eine ähnliche Situation haben wir nun wieder. Die irische Produktivität etwa kann sich überhaupt nicht mit der deutschen messen, dennoch ist Irland auf dem besten Weg in die Währungsunion. Müßten Sie als Bundesbanker da nicht „halt!“ rufen?
Ich denke nicht. Die deutsche Währungsunion zeigt, was passiert, wenn man über einen falsch festgelegten Wechselkurs zwei unterschiedlich produktive Wirtschaften aneinanderkoppelt. Aber in der EU spiegeln die frei auf dem Markt gebildeteten Wechselkurse bereits die Unterschiede der Produktivitätsniveaus wider.
Es sind doch vor allem die niedrigen Löhne in Irland, die die geringe Produktivität ausgleichen.
Doch, natürlich ist bei niedrigerer Produktivität auch das Einkommen niedriger.
Mit einer gemeinsamen Währung wird der Arbeiter in Irland um so eher erkennen, wieviel weniger Euro er verdient als ein Deutscher. Und dann werden noch viel mehr irische Bauarbeiter den teuren deutschen Arbeitern die Jobs wegnehmen als jetzt schon.
Ja sicher. Genau das ist ja im Grunde in einem einheitlichen Währungsraum angelegt. Ich sage nicht, daß eine sehr große Migration gewünscht ist. Aber ein gewisser Ausgleich, eine gewisse Angleichung der Lebensverhältnisse dadurch ist Ziel eines solchen Prozesses. Und wenn die Dinge richtig laufen, kommt es in einem gemeinsamen Markt dann auch mittelfristig zu einer Produktivitätsentwicklung in den etwas benachteiligten Ländern.
Kommt denn 1999 die gemeinsame Währung überhaupt?
Ich kann nur sagen, daß es einen außerordentlich starken Willen gibt, die Währungsunion bis dahin zu realisieren. Interview: Nicola Liebert
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