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„Logistische Grundlage entzogen“

■ Hamburgs Polizei feiert die Kapitulation des „Heidemörders“ Thomas Holst als Erfolg ihrer Arbeit und glaubt ihm kein Wort Von Heike Haarhoff

Die Polizisten der Revierwache 31 an der Oberaltenalle in Uhlenhorst trauten ihren Augen und Ohren nicht: Mit den Worten „Ich bin Thomas Holst“ spazierte ihnen am Samstag abend gegen 21 Uhr ein „gelassen wirkender“ junger Mann in die Amtsstube, der mit gefärbten Haaren, rasierter Halbglatze und „sehr viel schlanker als auf den Fahndungsfotos“ erst auf den zweiten Blick identifiziert werden konnte: Der dreifache Frauenmörder Thomas Holst, der am 27. September aus der geschlossenen Psychiatrie des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll ausgebrochen ist, stellte sich freiwillig.

Daß die dreimonatigen europaweiten, bislang aber ergebnislosen Fahndungen der eigens eingerichteten 50köpfigen „Sonderkommission (Soko) Holst“ nach dem sogenannten „Heidemörder“ so unverhofft zum Jahresende nunmehr abgeschlossen sind, wertete Polizeipräsident Arved Semerak am Sonntag als „weiteren Erfolg der Hamburger Polizei“: Der 31jährige Holst habe sich entgegen seiner Angaben bei der ersten Vernehmung am Wochenende keineswegs freiwillig gestellt, weil er „spürte, daß ansonsten wieder ein Mord passiert“: Holst hat aufgegeben, „weil wir ihm die logistische Grundlage entzogen haben“, sieht Chef-Fahnder Reinhard Chedor das Verhalten Holsts in direktem Zusammenhang mit der Festnahme seiner ehemaligen Therapeutin und mutmaßlichen Fluchthelferin aus dem AK Ochsenzoll, Tamar S., am Freitag (siehe Text unten).

Die Polizei ist davon überzeugt, daß der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Holst sich nach Israel absetzen wollte, sobald Tamar S. ihre eigene Ausreise in ihr Heimatland gemeinsam mit ihrem pflegebedürftigen Vater organisiert hätte. Für diese Theorie spreche, daß Holst bei seiner Kapitulation im Besitz von 157.000 Mark und äußerlich kaum wiederzuerkennen gewesen sei. Nachdem die Polizei diese Fluchtpläne durch die Verhaftung der 39jährigen Therapeutin aber durchkreuzt habe, „mußte Holst davon überzeugt sein, daß er es allein nicht mehr schaffen würde.“ Daß er sich schließlich gestellt und nicht auf die Verhaftung gewartet habe, sei „zwangsläufig“: Er wollte, vermutet Soko-Chef Chedor, „der Abwertung seiner eigenen Persönlichkeit entgegenwirken“.

Thomas Holst gab am Wochenende als Grund für seine Flucht an, er habe auf die therapeutischen Mißstände bei der psychiatrischen Behandlung der Patienten im AK Ochsenzoll aufmerksam machen wollen, wegen der die Krankenhausleitung in die Schußlinie geraten ist (taz berichtete). Zugleich habe er seine „stillschweigende Abschiebung in den Strafvollzug“ verhindern wollen, nachdem ihm die „Nicht-Therapierbarkeit“ bescheinigt worden war.

Das Landgericht Hamburg hatte Holst am 6. April 1993 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie angeordnet, wo er seit Juli 1994 lebte. Zwischen 1987 und 1990 hatte der Graphiker drei Frauen in Norddeutschland vergewaltigt, teilweise grausam verstümmelt und erdrosselt. Ein psychiatrischer Gutachter hatte ihm eine „schwere seelische Abartigkeit“ und eine „narzißtische Persönlichkeitsstruktur“ bescheinigt.

Ob Holst künftig seine Strafe weiter in der Psychiatrie oder im Gefängnis absitzen wird, „ist keine Entscheidung der Polizei“, ließ Chedor alle Fragen der Unterbringung offen.

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