: Theo Waigel denkt vor, die SPD fällt um
Nach den nächsten Wahlen geht die Mehrwertsteuer hoch, die Länder wollen ihre Kassen entlasten ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) – Die Dementis hätten durchaus energischer ausfallen können: Die Mehrwertsteuer sei kein Verschiebebahnhof, versicherte da Theo Waigel, könne nicht dazu dienen, Löcher im Sozialversicherungsbereich oder Steuermindereinnahmen auszugleichen. Aber gänzlich ausschließen wollte der Bundesfinanzminister eine Erhöhung der wichtigsten Verbrauchsteuer dennoch nicht.
Da geht es ihm wie so manchem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten: Die niedersächsische Landesregierung etwa sieht lediglich „derzeit keinen Anlaß, sich über eine Mehrwertsteuererhöhung eine Meinung zu bilden“.
Wie Waigel will auch Gerhard Schröder an das Geld der Konsumenten, möchte aber nicht schon wieder den Bösewicht spielen. Mit Oskar Lafontaine hatte er sich schon vor einem Vierteljahr über die unpopuläre Steuererhöhung ins Benehmen gesetzt. Am 5. September überraschte ein fröhlich grinsender Ministerpräsident sein Kabinett mit den Worten: „Der Oskar war gerade am Telefon und hat gefragt, wie ich zu einer Mehrwertsteuererhöhung stehe.“
Die frohe Botschaft kam gerade recht: Das niedersächsische Kabinett brütete just in einer Haushaltsklausur über der Malaise der Landesfinanzen. Lafontaine war damals noch finanzpolitischer Sprecher seiner Partei, stimmte am Telefon mit Schröder die Marschroute für ein Spitzengespräch mit Theo Waigel ab.
Allen Beteuerungen der Bundesregierung und der SPD zum Trotz, die Bereitschaft zur Erhöhung der Mehrwertsteuer hat man sich damals bereits signalisiert. Keineswegs allein mit ihrer Forderung nach Anhebung der Steuer standen somit der Chef des CDU- Wirtschaftsrats, Dieter Murmann, und Rudolf Dreßler, der die Zustimmung der SPD zu der Erhöhung von einem Ausgleich für Geringverdienende abhängig machen will. Sie plauderten nur zu früh – stehen doch in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Würtemberg Wahlen ins Haus.
Spätestens nach dieser Wahlrunde im März werden auch im Haushalt des Bundesfinanzministers jene Löcher nicht mehr zu kaschieren sein, die Waigel bisher mit Privatisierungsankündigungen und Einspardrohungen gegen Arbeitslose überdeckt. Wie dann das Thema Mehrwertsteuer anzugehen ist, hat Theo Waigel bereits angedeutet: Programm der Bonner Koalition ist immer noch die Abschaffung der beiden Gewerbesteueren, zumindest im Falle der Gerwerbekapitalsteuer will der Bundesfinanzminister das auch in die Tat umsetzen. Dabei bietet er den Kommunen, die durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer Einnahmen in Höhe von 7 Milliarden verlieren würden, als Ausgleich eine Beteiligung am Mehrwertsteueraufkommen an. Nach Meinung Waigels sollen allerdings die Länder zugunsten der Kommunen auf einen Teil ihrer Einnahmen aus der Mehrwertsteuer verzichten, die Länder ihrerseits sind der Ansicht, allein der Bund habe den Ausgleich für die Gewerbekapitalsteuer zu finanzieren.
Da niemand etwas abgeben will, hat Waigel die Erhöhung der Verbrauchsteuer vorprogrammiert. Die nun mal mehrheitlich sozialdemokratischen Ministerpräsidenten wollen im Januar ihre Bedingungen für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer formulieren. Beeindruckt hat sie, daß selbst die kommunalen Spitzenverbände diese Steuer nicht mehr standhaft verteidigen. Alle Beteiligten hoffen eben, daß am Ende weit mehr als ein Ausgleich für die Kommunen herauskommt, daß netto etwas in ihren Kassen hängenbleibt.
Theo Waigel strebt dabei wiederum eine Umverteilung von unten nach oben an: Gewerbekapitalsteuer zahlen fast ausschließlich Banken und große Industrieunternehmen, die Mehrwertsteuer, die auf jeden Preis aufgeschlagen wird, berappt jedermann. Diese Art Umverteilung via Steuerpolitik beklagt die Bonner SPD, die auf die Oppositionsbänke abonniert ist, ja seit langem regelmäßig: In den letzten vier Jahren hätten sich die Steuerzahlungen der Unternehmen um beinahe 12 Prozent verringert, die der Arbeitnehmer jedoch um 37 Prozent erhöht, teilte etwa kürzlich der finanzpolitische Sprecher der Bundestags-SPD, Joachim Poß, mit. Während die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben inzwischen Rekordhöhen erklommen hat, ist heute auf Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ein gutes Viertel weniger Steuern und Abgaben abzuführen als noch 1991. Von progressiver Besteuerung der Einkommen kann hierzulande längst nicht mehr die Rede sein: Das an der Spitze der Einkommensskala liegende Fünftel hat effektiv einen geringeren Steuersatz als das nachfolgende.
Auch die Gegenmittel führt die Bonner SPD ständig im Munde: Abbau von Steuervergünstigungen, eine Steuerverwaltung, die den Angaben über die Einkommen nicht nur glauben muß, sondern sie tatsächlich kontrolliert. Die Krux ist nur, daß die SPD steuerpolitisch über den Bundesrat mitregiert: So beklagt die Bundestagsfraktion nur, wofür die eigene Partei zumindest mit verantwortlich ist. Im Zweifelsfalle finden sich immer ein paar sozialdemokratische Ministerpräsidenten, die die Vergünstigungen dieser oder jener Klientel verteidigen, und für ein paar Mark mehr in den Landeskassen sind sie allemal bereit, verteilungspolitische Bekenntnisse über Bord zu schmeißen.
Zweierlei könnte den Sündenfall bei der Mehrwertsteuer allerdings verhindern: Die Konjunktur ist so schlapp geworden, daß ihr eine höhere Mehrwertsteuer vollends den Garaus machen könnte. Und Oskar Lafontaine muß als Parteivorsitzender und Oppositionsführer die finanziellen Sorgen seines Saarlandes hintanstellen. „Das Gequatsche über eine Mehrwertsteuererhöhung muß endlich aufhören“, tönt er heute. Abwarten, wie es nach der Landtagswahlrunde klingt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen