„Ich will an den Rechner!“

Das globale Dorf beginnt im Klassenzimmer: Computer helfen bei Experimenten in Physik und beim Englischlernen. Meist sitzen Jungen vor dem Bildschirm  ■ Von Sonja Schmitt

Ein ganz normaler Computerraum, wie er mittlerweile in jeder weiterführenden Schule zu finden ist. An den Wänden stehen zehn Rechner, in der Mitte sitzen sieben Schüler, um ihrem Lehrer Rede und Antwort zu stehen. Doch das hält sie nur vom Bildschirm fern, klagen die Jungen. „Ich will an den Rechner!“ stöhnt der 20jährige Michael Schmiegel und faßt damit die Stimmung im Raum zusammen. Denn die Jungs der 13. Klasse der Archenhold-Oberschule in Treptow sind Computerfreaks.

Doch nicht nur für sie ist der Rechner inzwischen elektronischer Klassenkamerad. Auch wer nicht das Fach Informatik belegt, hat mit Computern im Schulalltag zu tun. Nicht nur in der Verwaltung, sondern auch im Fachunterricht haben sich die elektronischen Hirne ihren Platz erobert. In den Naturkundefächern wie Chemie oder Physik dienen die Rechner der Schule als Meßgeräte bei Experimenten. Und im Englischunterricht fördert der Computer über seine elektronischen Verbindungen in die ganze Welt das Sprachenlernen.

In den Freistunden sitzt Michael oft im Computerraum, um seinen Freunden in den USA per E-Mail (elektronische Post) Briefe zu schicken. Kritik an der interaktiven Medienwelt kann der Schüler nicht verstehen: „Wir lernen viel am Computer und pflegen internationale Kontakte.“ Außerdem will er mit einem Vorurteil aufräumen. „Computerfreaks sind keineswegs kontaktscheu. Im Gegenteil sind sie unglaublich wißbegierig und engagiert.“ Der 18jährige Steffen unterstützt ihn: „Wenn die Schule aufs Leben vorbereiten will, muß sie auch mit der neuesten Computertechnik arbeiten.“ Auch ihr Mitschüler Daniel ist seit längerem auf E-Mail umgestiegen: „Das spart die Briefmarken und ist im Gegensatz zu den herkömmlichen Überlandbriefen sofort da.“

Im Computerraum der Schule sind die Jungen größtenteils unter sich. Denn bei den Mädchen sind Computer nach wie vor unbeliebt. Letztes Jahr hätte es zwei Schülerinnen gegeben, die das Fach Informatik gewählt hätten. In diesem Jahr haben aber nur Jungen diese Wahl getroffen.

Seit Anfang Dezember ist die Archenhold-Oberschule online ans Internet angeschlossen, das heißt, die SchülerInnen können rund um die Uhr elektronische Post von LeidensgenossInnen in den USA, in Schweden oder Japan empfangen, können die internationale Presse lesen oder ihre Messages in alle Welt verschicken. Der neue ISDN-Anschluß verbindet den Computerraum der Schule digital mit der TU, die ihrerseits ans internationale Datennetz gekoppelt ist. Da die Schule nur das Ortsgespräch zur Uni bezahlen muß, können nun auch die SchülerInnen nach Lust und Laune im World Wide Web (weltweites Netz) surfen. „Es handelt sich vorerst um ein Pilotprojekt“, erklärt der Informatiklehrer Klaus Drescher, der sich seit Jahren für die Direktverbindung eingesetzt hat.

Die Computerausstattung in der Schule ist hervorragend. Als ehemalige DDR-Schule wurde das Gymnasium nach dem Mauerfall zusammen mit 41 weiteren Ostschulen computertechnisch auf den neuesten Stand gebracht. „Zu DDR-Zeiten hatten wir nur einen einigermaßen passablen Computer. Ein Geschenk aus dem Westen“, berichtet Daniel.

Neben dem Einsatz in Chemie- und Physikstunden dienen die Rechner überwiegend als Briefkästen: Im Englischunterricht sind bereits viele elektronische Briefe zwischen der East High School in Salt Lake City (USA) und der Archenhold-Schule hin und her gegangen.

Aktuelle Artikel aus dem weltweiten Datennetz machen die Stunden sowohl für die SchülerInnen als auch für die LehrerInnen spannender. Trotzdem ist der Einsatz von Computern im Unterricht nicht selbstverständlich. „Oft hängt es am Engagement einzelner Lehrer“, bedauert Drescher.

Außerhalb des Schulunterrichts sind die Computer in das Leben der Jugendlichen voll integriert. Die meisten haben einen Computer zu Hause. Auch die Schülerzeitung der Archenhold-Oberschule, die Unbunte, ist auf dem „School Wide Web“, einem bundesweit zusammengeschlossenen Schulnetz, zu lesen. „Meine Eltern haben einen T-Online-Anschluß“, erzählt Michael, „aber da darf ich nicht dran, weil sie sonst wegen der hohen Telefonrechnung die Krise kriegen.“