: Müllers geheime Magie
Carmen-Maja Antoni, Miglied des Berliner Ensembles, über die Stimmung im Haus nach Heiner Müllers Tod und Spekulationen über seine Nachfolge
taz: Daß Heiner Müller sterbenskrank ist, war bekannt. Dennoch hat es jetzt den Anschein, als ob das Ensemble und die Leitung des Hauses von seinem Tode letztlich überrascht wurden. Täuscht dieser Eindruck, oder gab es in den letzten Monaten im Berliner Ensemble so einen Moment kollektiver Verdrängung?
Carmen-Maja Antoni: „Kollektive Verdrängung“ ist in diesem Kontext ein irrwitziger Begriff, völlig fehl am Platze. Heiner Müllers Tod ist ein sickernder Schmerz, den man ahnte und mit dem wir jetzt umgehen müssen. Wie oft lief sein Kopf so einsam über den Hof? Wir lebten von seiner Klugheit, ließen seinen Rat als einzige Gültigkeit gelten. Das war leichtsinnig, denn man wußte um sein Kranksein, um sein Weggehn. Keiner erlebte ihn je schreiend, weil seine Texte Schreie waren. Er wirkte oft traurig, weil wir ihn nicht zu begreifen vermochten. Daß wir mit seinem Tod unvorbereitet umgehen, hat vielleicht damit zu tun, daß wir uns dem Gefühl verweigerten, gerade ihn zu verlieren. Heiner Müller hat mit uns am Theater bis zum Schluß gelebt. Was bedeutet da so ein Wort wie „überrascht“?
Wie präsent war Heiner Müller als künstlerischer Leiter in dieser Spielzeit noch? Er war ja schon von seiner Krankheit gezeichnet. Gab es Diskussionen mit ihm über die laufende Arbeit, hat er beispielsweise an Proben zu Einar Schleefs Inszenierung des „Puntila“, in der Sie mitwirken, teilgenommen?
Das klingt so, als ob ein moribunder Dichter, den die Presse bewunderte und zugleich wegen seiner Integrität fürchtete, vom Totenbett aus ein Theater hätte regieren sollen. Heiner Müller war als künstlerischer Direktor des Berliner Ensembles ein Glücksfall für unser Haus. Er ließ jedem Regisseur Raum für seine Auffassungen, seine Persönlichkeit. Einmischung hätte Mißtrauen bedeutet, dafür war Heiner Müller nicht zu haben. Er hat es schmerzlich genug in seiner eigenen Biographie erfahren. Warum sollte ein so kluger Mann derart dumme Fehler an anderen wiederholen? Er war im besten Sinne ein Intendant für sein Theater und alles andere als ein eitler Guru.
Sie gehören schon seit fast zwanzig Jahren zum Haus und damit zur „traditionellen“ BE- Mannschaft. Und Müller war zumindest als Autor an diesem Haus ebenfalls auch schon lange vor seiner Intendantenzeit präsent. Hat Heiner Müller als Theaterleiter Ihrer Einschätzung nach die Arbeit Manfred Wekwerths fortgesetzt, oder gibt es da elementare Brüche?
Du lieber Gott, was um alles in der Welt heißt „traditionelle BE- Mannschaft“? Das ist ein dummer Mythos, auf dem sich die Boulevardpresse seit längerer Zeit austobt! Heiner Müller wurde an der Volksbühne, im Deutschen Theater und auch im BE gespielt, was engagierten Theaterleuten, wie zum Beispiel Ruth Berghaus, zu verdanken ist. Das Genie Heiner Müllers konnte nicht einmal die stumpfsinnige Kulturbürokratie der DDR ausbürgern. Einen Ansatzpunkt zwischen Müller und Wekwerth zu suchen hieße für mich, einen Theater-Revolutionär mit einem Bühnen-Revoluzzer zu vergleichen. Erst Heiner Müller hat dem Berliner Ensemble wieder den Rang verschafft, ein politisch brisantes Theater zu sein. Und er hat uns damit in eine Verpflichtung genommen, mit der wir umgehen müssen und die bewahrt werden muß. Sein Erbe ist nicht das Zweifeln, sondern der Mut für das BE.
Derzeit arbeiten Einar Schleef und Thomas Heise am Berliner Ensemble. Haben Sie den Eindruck, daß das Theater mit diesen beiden Regisseuren auch ohne Heiner Müller den eingeschlagenen Weg fortsetzen kann? Oder droht jetzt, wie manche zu befürchten scheinen, alles zusammenzubrechen, so daß es tatsächlich nötig ist, einen Starintendanten von außen ans Haus zu holen?
Jede Art von unsensibler und nur allzuleicht durchschaubarer Spekulation über die Zukunft des Berliner Ensembles halte ich im Moment für völlig unangebracht und übrigens auch unanständig. Wer immer dieses Haus weiterführen will, wird sich messen lassen müssen an Brecht, an Müller, alles andere wird zwangsläufig scheitern. Im übrigen gibt es eine Magie, ein Geheimnis zwischen Heiner Müller, seinen Schauspielern und dem Haus, von dem die Öffentlichkeit nie etwas erfahren wird. Und das allein wird über die Zukunft des Berliner Ensembles entscheiden.
„Brecht Müller Shakespeare“ ist diese Spielzeit recht unbescheiden übertitelt. Ist Ihnen das Programm als Schauspielerin auf die Dauer nicht zu einseitig? Wünschen Sie sich nicht manchmal auch ganz leichte, rein spielerische Stücke? Wünschen sie sich nicht auch wieder einmal Stücke junger Dramatiker?
Sie fragen, als wäre unser Haus nicht gerade unter Heiner Müller auch eine Werkstatt für junge Autoren geworden. Welches Theater in Berlin hat sich – wie das BE unter Heiner Müller – so geöffnet für Neues, Unfertiges, suchende und kommende Leute? Sie verwechseln den Ansatz für eine Spielzeit mit der konzeptionellen Aussage für ein Theater. Heiner Müller hat dem Theater etwas zurückgegeben, was weiterwirken wird. Wissen Sie, als Schauspielerin war es ein unglaubliches Vergnügen, an seinen Proben teilzunehmen, das Zögern seiner Gedanken nachzuempfinden. Oft erfaßte einen da der pure Neid, nur Zuschauer, Zuhörer auf seinen Proben und nicht beteiligt zu sein. Jede Schauspielerin tat ihm leid, die er nicht besetzen konnte, weil oft die Brutalität seiner Texte Frauen in einem Kriegs- und Männerstaat keinen Raum ließ. Was an Brecht, Müller oder Shakespeare einseitig sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Leichte, rein spielerische Stücke, das sind Begriffe für andere Häuser, nicht fürs BE.
Seit einiger Zeit findet die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Berliner Ensemble fast ausschließlich über Dinge statt, die mit der Theaterarbeit selbst nichts zu tun haben. Die Blätter sind voll von Personalquerelen, Eigentumsfragen, Finanzfragen... Welche Auswirkungen wird das Ihrer Einschätzung nach auf die Stimmung im Haus haben?
Was von Heiner Müller bleiben wird, hängt wohl am ehesten davon ab, wie wir mit seinem Werk umgehen und welchen Rang Kunst und Kultur in diesem Land künftig beanspruchen dürfen. Ich fürchte, Heiner Müllers Vision von einem katastrophalen Untergang dieser Zivilisation könnte sich nur allzubald erfüllen, wenn Unvernunft, Kulturbarbarei und sinnloses Besitzstreben in dieser Gesellschaft Vorrang bekommen. Interview: taz
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