: Starke Worte gegen die Agonie
Beim Dreikönigstreffen wurde viel geschwäbelt, vom Gemeinwohl erzählt, ein „Verkaufskonzept“ für liberale Politik entwickelt und der große Partner CDU gerügt ■ Aus Stuttgart Klaus-Peter Klingelschmitt
15, 14, 9, 8, 7, 6 – das sind nicht die Lottozahlen vom vergangenen Samstag, sondern die (aufgerundeten) Prozentpunkte der FDP bei den letzten sechs Landtagswahlen in Baden-Württemberg von 1968 bis 1992. Und weil die letzten Exponenten der Partei alle promovierte Cleverle sind, von Dr. Klaus Kinkel bis Dr. Wolfgang Gerhard, von Dr. Walter Döring bis Dr. Guido Westerwelle, wissen sie, wie diese mathematische Reihe fortgeschrieben werden muß: 4,8 Prozentpunkte, maximal 4,9. Und dann wäre die FDP am 24. März auch in ihrem Stammländle eine politische Leiche.
Die „Erbschleicher“ (Kinkel) standen am Sonnabend schon vor dem Staatstheater in Stuttgart, um der FDP auf ihrem 50. Dreikönigstreffen der Nachkriegsgeschichte ordentlich in die Spätzle spucken zu können. „Im Stammland der Liberalen wählt man heute grün“, stand auf den Plakaten, die den Mitgliedern und letzten Sympathisanten der Partei von den Bündnisgrünen triumphierend entgegengehalten wurden. Und um das Maß an Spott für die Liberalen vollzumachen, prangte unter der provozierenden Headline das Konterfei von Ex-Bundespräsident Theodor Heuss (FDP). „Jetzt klauen die Grünen schon unsere Großväter“, echauffierte sich später Bundesaußenminister Klaus Kinkel im Staatstheater, das mit seinem barocken Charme als anachronistische Kulisse auch für die verbale Auseinandersetzung der Liberalen mit der europäischen Kulturgeschichte herhalten mußte.
„Der Unterschied zwischen den Grünen und der FDP? Das ist der Unterschied zwischen Romantik und Aufklärung“ (Westerwelle).
Es war der junge Generalsekretär Guido Westerwelle, 34, der auf diesem Dreikönigstreffen die Akzente setzte. Bei den Landtagswahlen am 24. März in Baden- Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gehe es längst nicht mehr nur um das Überleben einer Partei, sondern darum, ob in den Parlamenten in Deutschland künftig noch die liberale Idee politisch organisiert vertreten sein werde, so Westerwelle.
Die FDP sei die einzige liberale Partei in Deutschland. Deshalb lohne sich beim Kampf um ihre Zukunft jedes Engagement. Und weil achtzig Prozent der Abgeordneten nicht nur im Deutschen Bundestag „Sozialdemokraten mit unterschiedlichen Parteibüchern“ seien, dürfe die FDP bei Strafe des Untergangs nicht noch die „fünfte sozialdemokratische Partei“ werden. Westerwelle: „Wir sind die erste und einzige liberale marktwirtschaftliche Partei in Deutschland.“
Daß das „Produkt“ FDP – angesichts der schleichenden Agonie der Partei – nur noch zielgruppenorientiert „verkauft“ werden kann, weiß Westerwelle. Der Mittelstand in Deutschland soll die FDP vor dem Untergang retten: „Was hat es mit Gemeinwohl zu tun, wenn Hunderttausende kleiner, gesunder mittelständischer Betriebe, Freiberufler und Handwerker mit ihrer zu hohen Steuer- und Abgabelast die Subventionierung von Nostalgie-Industrien finanzieren? Was hat es mit Gemeinwohl zu tun, wenn einerseits jeder Steinkohlearbeitsplatz im Ruhrgebiet mit jährlich mehr als 100.000 Mark subventioniert wird, auf der anderen Seite aber die Arbeitsplätze im Mittelstand aufgrund zu hoher Steuer- und Abgabelasten gefährdet werden?“ Gleich drei Ministerpräsidenten würden sich einschalten, wenn in einem Unternehmen 2.000 Arbeitsplätze gefährdet seien. Aber wenn 200 Betriebe mit 10 Arbeitsplätzen schließen müßten, interessiere sich dafür kein Mensch – außer (ab sofort) Guido Westerwelle und seine Freien Demokraten. Da gab es ordentlich Beifall von den mit schwäbischen Mittelständlern und Parteigängern besetzten Rängen im Staatstheater für den Generalsekretär. Und getragen von der Woge der Begeisterung, dachte Westerwelle schon an das Jahr 2046: „In 50 Jahren bin ich 84 Jahre alt. Dann stehe ich wieder hier vor vollem Haus und halte die Festrede.“ Das Dreikönigstreffen – „Speed“ für gefrustete liberale Seelen.
Laut im dunklen Forst pfiff auch Klaus Kinkel, der wie Westerwelle die Knebelung des Mittelstandes durch hohe Steuerlasten und Bürokratisierung monierte. Die FDP dürfe nicht „everybody's darling“ sein. Auf gut schwäbisch: „Wer allem Volk nachläuft, sieht nur dessen Hinterteil. Wer nach allen Seiten offen ist, ist nirgends ganz dicht.“ Kinkel rief die Partei zur Geschlossenheit auf. Politische Zirkel und Flügelkämpfe seien so unnötig wie ein Kropf. „Wir sind stolz darauf, daß die FDP für Links- und Nationalliberale immer Heimat war!“
Da platzte Ignatz Bubis in der ersten Reihe ein Äderchen in der Nase. Und es waren dann nicht nur die Papiertaschentücher der hessischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Ruth Wagner, die das Nasenbluten des Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland schnell stoppten. Kinkel beeilte sich zu erklären, daß Populismus nicht die Sache der FDP sei – „und Haider nicht unser Vorbild“. Die FDP sei eine eigenständige, oft auch eigenwillige Partei. Die sich ihren Stolz nicht nehmen lasse, „auch nicht vom Koalitionspartner“. Kinkel betonte, wie sehr die CDU die FDP derzeit doch brauche.
Die FDP will der CDU schnell noch den „Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag“ abringen, wie Parteichef Wolfgang Gerhardt als Schlußredner betonte. Walter Döring verlangte, bei diesem Thema in Bonn die Koalitionsfrage zu stellen. Auch Gerhardt schwang die Gebetsmühle von der zu hohen Steuer- und Abgabenlast für den Mittelstand in Deutschland: „Die Steuerpolitik der FDP ist Arbeitnehmerpolitik für Deutschland. SPD, Grüne und PDS sind mit ihrer Steuererhöhungspolitik die Arbeitsplatzvertreibungsparteien in Deutschland.“
Da gähnten bereits einige im Auditorium und dachten an Linsen und Spätzle und an ein zünftiges Hofbräu-Bier in Stuttgart. Wer schon gegangen war, hatte nichts versäumt beim Schlußwort des blassen Parteivorsitzenden.
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