: Bündnis für Arbeit statt Armut
■ Hamburgs Arbeitslosenzahlen steigen: Gewerkschaften, Arbeitgeber und Senat wollen mit einem „Bündnis für Arbeit“ antworten Von Florian Marten
Nordmetall-Chef Thomas Klischan findet es durchaus bedenkenswert, Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus hätte es gern schon vor fünf Jahren gehabt, und für Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm ist es eine Frage von Sein oder Nicht-Sein: Ein norddeutsches „Bündnis für Arbeit“, welches Arbeitsplätze schafft und damit, wie IG Metall-Boß Frank Teichmüller hofft, den Teufelskreis von Armut, steigender Staatsverschuldung und Krise der Sozialversicherungssysteme durchbricht.
Auf einem Gipfeltreffen von Politik, Gewerkschaften und Metallarbeitgebern im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof zeichneten sich am Montag abend die ersten Konturen neuer Gemeinsamkeit ab. Pumms Resümee: „Wir wollen in Hamburg ein Bündnis für Arbeit schmieden. Die Stunde der Wahrheit schlägt Mitte 1996.“
Ohne Frage, die Lage ist so ernst wie die Stimmung: „Wir haben begriffen, daß das Warten auf den nächsten Konjunkturaufschwung unser Problem nicht löst. Wir werden die Arbeitslosenzahlen auch mittelfristig wohl kaum nennenswert reduzieren können.“ Mit bitterer Ehrlichkeit kommentierte gestern Hamburgs Arbeitsamtschef Olaf Koglin die neuen düsteren Zahlen vom Arbeitsmarkt: Nach einer kurzen Erholung im Jahr 1992 mit „nur“ 57.000 Arbeitslosen steigt der Arbeitslosenpegel mittlerweile immer kräftiger an und hat am 31.12.95 die 80.000-Marke deutlich überschritten.
Gleichzeitig verliert Hamburg in dramatischer Weise Arbeitsplätze: Fast 20.000 Jobs fielen in den vergangenen drei Jahren weg. Dabei wird die Situation vieler Arbeitsloser immer dramatischer. Denn mittlerweile hat sich der Typ des „perforierten Arbeitslosen“ breitgemacht, wie die Arbeitswissenschaftler ihre neueste Entdeckung tauften: Dabei handelt es sich um dauerhaft Arbeitslose, die allein durch Weiterbildung, Kurzjobs oder gar Kuren kurze Zeit aus der Statistik verschwinden.
Koglin besorgt: „Unser Dauerkundenstamm wird immer größer. Es fehlt vor allem an einfachen Arbeitsplätzen.“ Die Frage, ob Essig-Kühne in Bahrenfeld bleibt oder nach Zarrenthin auswandert, buchstabiert Koglin als die Frage, ob ein Wohnviertel lieber „Essiggeruch oder Armut“ erträgt: „Ein Büroturm an dieser Stelle bringt uns praktisch nichts.“ Während Koglin das Arbeitsamt mit seiner Vermittlungstätigkeit (Rekordergebnis trotz steigender Arbeitslosigkeit) und seinen Weiterbildungsaktivitäten (10.600 in Fortbildung, 2.300 in ABM) inzwischen an der Grenze dessen angelangt sieht, „wo wir etwas beeinflussen können“, stehen Politik und Tarifpartner vor einer schwierigen Operation, wie sich am Montag trotz aller oberflächlicher Einigkeit zeigte.
Zwar gestanden alle Beteiligten mehr oder weniger deutlich ein, daß nicht Sozialabbau und Lohnkürzung die Krise lösen, sondern allein eine aktive Arbeitsplatz- und Produktpolitik vor Ort in den Betrieben. Wie das aber konkret funktionieren soll, blieb trotz aller Beteuerung, jetzt müsse „Schluß sein mit den Sonntagsreden“, weiter offen: Nordmetall-Chef Klischan jammerte über die Machtlosigkeit seines Verbandes, seine Unternehmen zu anderen Betriebsstrategien zu überreden und verlangte im Gegenzug von den Gewerkschaften tarifvertragliche Vorleistungen, die diese ohne Garantien für neue Arbeitsplätze aber nicht rausrücken können. Teichmüller freilich mahnte die Zweifler in den eigenen Reihen: „Wir müssen Arbeitsplätze schaffen – egal wie und womit.“ Und dann, ein wenig trotzig: „Wir werden dieses Bündnis ohne Kampf nicht hinbekommen.“ Klischan lächelte verständnissinnig.
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