: „Einfache Bürger“ sind auch Menschen
Beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten waren unter den 250 Empfangenen auch elf BerlinerInnen dabei, die sich um das Gemeinwohl verdient gemacht haben ■ Von Barbara Junge
Nicht stolpern, keine verschwitzten Hände kriegen und immer würdevoll lächeln. Man wird ja schließlich nicht jeden Tag vom Bundespräsidenten empfangen – und noch dazu in einem Schloß.
Der Neujahrsempfang von Roman Herzog in Schloß Bellevue verschaffte gestern 69 „einfachen Bürgern“ – so das Bundespräsidialamt – die Möglichkeit, sich nach Herzenslust mit Sekt, Krabbentoasts und Lachstörtchen zu amüsieren: Aber erst nach dem schweißtreibenden Parcours vorbei am präsidialen Paar und den lauernden Kameras der Fernsehteams. Ein kräftiger Händedruck des bayerischen Naturburschen, einer noch von der Frau Gemahlin, und hinaus in die angrenzende Halle zu den anderen 250 Empfangenen.
Auch elf BerlinerInnen durften gestern das goldfarbene Namensschildchen tragen, an dem die „einfachen Bürger“ zu erkennen waren. Besonders um das Gemeinwohl hatten sich diejenigen verdient gemacht, mit denen Roman Herzog den Handschweiß tauschte.
Rainer Scholz zum Beispiel. Der smarte Transportfirmenbesitzer gehört zu der Gattung Unternehmer, die sich über die Profitrate hinaus für die Gesellschaft interessieren. Für die „Initiative Verständigung Berlin e.V. – Unternehmen gegen Gewalt von rechts“ nutzte er gestern die Gelegenheit, das Thema rechtsradikale Gewalt wieder in die Diskussion zu werfen. „Die Gewalt ist nicht zurückgegangen, wir haben uns nur an sie gewöhnt, und mit dem Empfang hoffe ich, wieder Öffentlichkeit für das Problem zu schaffen.“ Die Initiative fördert beispielsweise Projekte wie die Sportjugend Lichtenberg, in der sich vorwiegend Rechtsradikale tummeln, und stellt Arbeitsplätze für eben solche Jugendliche zur Verfügung.
Ausgewogenheit ist Trumpf – und dehalb ehrte der Bundespräsident gestern neben denjenigen, die sich um die Täter kümmern, auch einen, der Opfern rechtsradikaler Gewalt beisteht. Otto Rosenberg, Vorsitzender des Landesverbands deutscher Roma und Sinti in Berlin-Brandenburg, nahm die Einladung als eine Geste der Anerkennung. „Der Bundespräsident hat mir ein paar ganz nette Worte und Grüße an meine Leute mitgegeben und in meiner Person auch alle Sinti und Roma gestärkt.“ Für Rosenberg hat der Verband, der Sinti und Roma dabei hilft, Behördengänge zu erledigen, Wohnungsmöglichkeiten zu finden oder auch Entschädigungsanträge zu stellen, vor allem ein Ziel: die Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als Deutsche.
Wie für Scholz und für Rosenberg war auch für die anderen empfangenen BerlinerInnen das Defilee vorbei am Bundespräsidenten und die anschließende Sektrunde in den Sälen von Bellevue die Gelegenheit, für ihre Arbeit zu werben. Tatjana Forner, die geehrt wurde für ihre Arbeit mit russischen EmigrantInnen und AussiedlerInnen im „Club Dialog“, wies aber auch auf das finanzielle Tief ihrer und anderer Organisationen hin, die sich um interkulturelle Verständigung bemühen. Die Sparmaßnahmen des Senats betreffen soziale und kulturelle Einrichtungen ebenso wie Jugendprojekte. Die Ehrung des Bundespräsidenten sei bestimmt gut, finanzielle Unterstützung von Land und Bund aber noch besser, sagte Forner.
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